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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Hand und gab sie mir den andern wieder.
Sie war klug genug zu bemerken, daß hier
nichts auszurichten war, und drang nur dar¬
auf, daß auch die Bibel eben so fleißig ge¬
lesen wurde. Auch dazu ließ ich mich nicht
treiben, und ich las die heiligen Bücher mit
vielem Antheil. Dabey war meine Mutter
immer sorgfältig, daß keine verführerischen
Bücher in meine Hände kämen, und ich selbst
würde jede schändliche Schrift aus der Hand
geworfen haben, denn meine Prinzen und
Prinzessinnen waren alle äußerst tugendhaft,
und ich wußte übrigens von der natürlichen
Geschichte des menschlichen Geschlechts mehr
als ich merken ließ, und hatte es meistens
aus der Bibel gelernt. Bedenkliche Stellen
hielt ich mit Worten und Dingen die mir
vor Augen kamen zusammen, und brachte bey
meiner Wißbegierde und Combinationsgabe
die Wahrheit glücklich heraus. Hätte ich

Hand und gab ſie mir den andern wieder.
Sie war klug genug zu bemerken, daß hier
nichts auszurichten war, und drang nur dar¬
auf, daß auch die Bibel eben ſo fleißig ge¬
leſen wurde. Auch dazu ließ ich mich nicht
treiben, und ich las die heiligen Bücher mit
vielem Antheil. Dabey war meine Mutter
immer ſorgfältig, daß keine verführeriſchen
Bücher in meine Hände kämen, und ich ſelbſt
würde jede ſchändliche Schrift aus der Hand
geworfen haben, denn meine Prinzen und
Prinzeſſinnen waren alle äußerſt tugendhaft,
und ich wußte übrigens von der natürlichen
Geſchichte des menſchlichen Geſchlechts mehr
als ich merken ließ, und hatte es meiſtens
aus der Bibel gelernt. Bedenkliche Stellen
hielt ich mit Worten und Dingen die mir
vor Augen kamen zuſammen, und brachte bey
meiner Wißbegierde und Combinationsgabe
die Wahrheit glücklich heraus. Hätte ich

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[213/0219] Hand und gab ſie mir den andern wieder. Sie war klug genug zu bemerken, daß hier nichts auszurichten war, und drang nur dar¬ auf, daß auch die Bibel eben ſo fleißig ge¬ leſen wurde. Auch dazu ließ ich mich nicht treiben, und ich las die heiligen Bücher mit vielem Antheil. Dabey war meine Mutter immer ſorgfältig, daß keine verführeriſchen Bücher in meine Hände kämen, und ich ſelbſt würde jede ſchändliche Schrift aus der Hand geworfen haben, denn meine Prinzen und Prinzeſſinnen waren alle äußerſt tugendhaft, und ich wußte übrigens von der natürlichen Geſchichte des menſchlichen Geſchlechts mehr als ich merken ließ, und hatte es meiſtens aus der Bibel gelernt. Bedenkliche Stellen hielt ich mit Worten und Dingen die mir vor Augen kamen zuſammen, und brachte bey meiner Wißbegierde und Combinationsgabe die Wahrheit glücklich heraus. Hätte ich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/219>, abgerufen am 27.11.2024.