Kurz darauf kam das vom Arzt versprochene Manuscript an. Sie ersuchte Wilhelmen ihr daraus vorzulesen, und die Wirkung die es that wird der Leser am besten beurtheilen können, wenn er sich mit dem folgenden Bu¬ che bekannt gemacht hat. Das heftige und trotzige Wesen unsrer armen Freundin ward auf einmal gelinder. Sie nahm den Brief zurück und schrieb einen andern, wie es schien in sehr sanfter Stimmung, auch forderte sie Wilhelmen auf, ihren Freund, wenn er ir¬ gend durch die Nachricht ihres Todes betrübt werden sollte, zu trösten, ihm zu versichern, daß sie ihm verziehen habe, und daß sie ihm alles Glück wünsche.
Von dieser Zeit an war sie sehr still und schien sich nur mit wenigen Ideen zu beschäf¬ tigen, die sie sich aus dem Manuscript eigen zu machen suchte, woraus ihr Wilhelm von Zeit zu Zeit vorlesen mußte. Die Abnahme
Kurz darauf kam das vom Arzt verſprochene Manuſcript an. Sie erſuchte Wilhelmen ihr daraus vorzuleſen, und die Wirkung die es that wird der Leſer am beſten beurtheilen können, wenn er ſich mit dem folgenden Bu¬ che bekannt gemacht hat. Das heftige und trotzige Weſen unſrer armen Freundin ward auf einmal gelinder. Sie nahm den Brief zurück und ſchrieb einen andern, wie es ſchien in ſehr ſanfter Stimmung, auch forderte ſie Wilhelmen auf, ihren Freund, wenn er ir¬ gend durch die Nachricht ihres Todes betrübt werden ſollte, zu tröſten, ihm zu verſichern, daß ſie ihm verziehen habe, und daß ſie ihm alles Glück wünſche.
Von dieſer Zeit an war ſie ſehr ſtill und ſchien ſich nur mit wenigen Ideen zu beſchäf¬ tigen, die ſie ſich aus dem Manuſcript eigen zu machen ſuchte, woraus ihr Wilhelm von Zeit zu Zeit vorleſen mußte. Die Abnahme
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Kurz darauf kam das vom Arzt verſprochene
Manuſcript an. Sie erſuchte Wilhelmen ihr
daraus vorzuleſen, und die Wirkung die es
that wird der Leſer am beſten beurtheilen
können, wenn er ſich mit dem folgenden Bu¬
che bekannt gemacht hat. Das heftige und
trotzige Weſen unſrer armen Freundin ward
auf einmal gelinder. Sie nahm den Brief
zurück und ſchrieb einen andern, wie es ſchien
in ſehr ſanfter Stimmung, auch forderte ſie
Wilhelmen auf, ihren Freund, wenn er ir¬
gend durch die Nachricht ihres Todes betrübt
werden ſollte, zu tröſten, ihm zu verſichern,
daß ſie ihm verziehen habe, und daß ſie ihm
alles Glück wünſche.
Von dieſer Zeit an war ſie ſehr ſtill und
ſchien ſich nur mit wenigen Ideen zu beſchäf¬
tigen, die ſie ſich aus dem Manuſcript eigen
zu machen ſuchte, woraus ihr Wilhelm von
Zeit zu Zeit vorleſen mußte. Die Abnahme
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/205>, abgerufen am 24.12.2024.
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