Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

sie, die mir noch immer statt aller andern
Weiber in der Welt ist! Gehen Sie wenig¬
stens zu ihr hinein, sagen Sie ihr daß ich
hier bin, daß der Mensch hier ist, der seine
erste Liebe und das ganze Glück seiner Ju¬
gend an sie knüpfte. Er will sich rechtferti¬
gen, daß er sie unfreundlich verließ, er will
sie um Verzeihung bitten, er will ihr verge¬
ben, was sie auch gegen ihm gefehlt haben
mag, er will sogar keine Ansprüche an sie
mehr machen, wenn er sie nur noch einmal
sehen kann, wenn er nur sehen kann daß sie
lebt und glücklich ist!

Philine schüttelte den Kopf und sagte:
mein Freund, reden Sie leise! Betrügen
wir uns nicht! und ist das Frauenzimmer
wirklich Ihre Freundin, so müssen wir sie
schonen, denn sie vermuthet keinesweges Sie
hier zu sehen. Ganz andere Angelegenhei¬
ten führen sie hierher, und das wissen Sie

ſie, die mir noch immer ſtatt aller andern
Weiber in der Welt iſt! Gehen Sie wenig¬
ſtens zu ihr hinein, ſagen Sie ihr daß ich
hier bin, daß der Menſch hier iſt, der ſeine
erſte Liebe und das ganze Glück ſeiner Ju¬
gend an ſie knüpfte. Er will ſich rechtferti¬
gen, daß er ſie unfreundlich verließ, er will
ſie um Verzeihung bitten, er will ihr verge¬
ben, was ſie auch gegen ihm gefehlt haben
mag, er will ſogar keine Anſprüche an ſie
mehr machen, wenn er ſie nur noch einmal
ſehen kann, wenn er nur ſehen kann daß ſie
lebt und glücklich iſt!

Philine ſchüttelte den Kopf und ſagte:
mein Freund, reden Sie leiſe! Betrügen
wir uns nicht! und iſt das Frauenzimmer
wirklich Ihre Freundin, ſo müſſen wir ſie
ſchonen, denn ſie vermuthet keinesweges Sie
hier zu ſehen. Ganz andere Angelegenhei¬
ten führen ſie hierher, und das wiſſen Sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0162" n="156"/>
&#x017F;ie, die mir noch immer &#x017F;tatt aller andern<lb/>
Weiber in der Welt i&#x017F;t! Gehen Sie wenig¬<lb/>
&#x017F;tens zu ihr hinein, &#x017F;agen Sie ihr daß ich<lb/>
hier bin, daß der Men&#x017F;ch hier i&#x017F;t, der &#x017F;eine<lb/>
er&#x017F;te Liebe und das ganze Glück &#x017F;einer Ju¬<lb/>
gend an &#x017F;ie knüpfte. Er will &#x017F;ich rechtferti¬<lb/>
gen, daß er &#x017F;ie unfreundlich verließ, er will<lb/>
&#x017F;ie um Verzeihung bitten, er will ihr verge¬<lb/>
ben, was &#x017F;ie auch gegen ihm gefehlt haben<lb/>
mag, er will &#x017F;ogar keine An&#x017F;prüche an &#x017F;ie<lb/>
mehr machen, wenn er &#x017F;ie nur noch einmal<lb/>
&#x017F;ehen kann, wenn er nur &#x017F;ehen kann daß &#x017F;ie<lb/>
lebt und glücklich i&#x017F;t!</p><lb/>
            <p>Philine &#x017F;chüttelte den Kopf und &#x017F;agte:<lb/>
mein Freund, reden Sie lei&#x017F;e! Betrügen<lb/>
wir uns nicht! und i&#x017F;t das Frauenzimmer<lb/>
wirklich Ihre Freundin, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en wir &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;chonen, denn &#x017F;ie vermuthet keinesweges Sie<lb/>
hier zu &#x017F;ehen. Ganz andere Angelegenhei¬<lb/>
ten führen &#x017F;ie hierher, und das wi&#x017F;&#x017F;en Sie<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0162] ſie, die mir noch immer ſtatt aller andern Weiber in der Welt iſt! Gehen Sie wenig¬ ſtens zu ihr hinein, ſagen Sie ihr daß ich hier bin, daß der Menſch hier iſt, der ſeine erſte Liebe und das ganze Glück ſeiner Ju¬ gend an ſie knüpfte. Er will ſich rechtferti¬ gen, daß er ſie unfreundlich verließ, er will ſie um Verzeihung bitten, er will ihr verge¬ ben, was ſie auch gegen ihm gefehlt haben mag, er will ſogar keine Anſprüche an ſie mehr machen, wenn er ſie nur noch einmal ſehen kann, wenn er nur ſehen kann daß ſie lebt und glücklich iſt! Philine ſchüttelte den Kopf und ſagte: mein Freund, reden Sie leiſe! Betrügen wir uns nicht! und iſt das Frauenzimmer wirklich Ihre Freundin, ſo müſſen wir ſie ſchonen, denn ſie vermuthet keinesweges Sie hier zu ſehen. Ganz andere Angelegenhei¬ ten führen ſie hierher, und das wiſſen Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/162
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/162>, abgerufen am 04.12.2024.