ich durch die Schwere meiner Treue wie ein Rohr zu Boden zog, ja vielleicht gar zer¬ brach.
Er hatte Aurelien seine Geschichte mit Marianen vertraut, und konnte sich also jetzt darauf beziehen. Sie sah ihm starr in die Augen, und fragte: können Sie sagen, daß Sie noch niemals ein Weib betrogen, daß Sie keiner mit leichtsinniger Galanterie, mit frevelhafter Betheurung, mit herzlockenden Schwüren ihre Gunst abzulocken gesucht?
Das kann ich, versetzte Wilhelm, und zwar ohne Ruhmredigkeit; denn mein Leben war sehr einfach, und ich bin selten in die Versuchung gerathen, zu versuchen. Und welche Warnung, meine schöne, meine edle Freundin, ist mir der traurige Zustand, in den ich Sie versetzt sehe. Nehmen Sie ein Gelübde von mir, das meinem Herzen ganz angemessen ist, das durch die Rührung, die
Aa 2
ich durch die Schwere meiner Treue wie ein Rohr zu Boden zog, ja vielleicht gar zer¬ brach.
Er hatte Aurelien ſeine Geſchichte mit Marianen vertraut, und konnte ſich alſo jetzt darauf beziehen. Sie ſah ihm ſtarr in die Augen, und fragte: können Sie ſagen, daß Sie noch niemals ein Weib betrogen, daß Sie keiner mit leichtſinniger Galanterie, mit frevelhafter Betheurung, mit herzlockenden Schwüren ihre Gunſt abzulocken geſucht?
Das kann ich, verſetzte Wilhelm, und zwar ohne Ruhmredigkeit; denn mein Leben war ſehr einfach, und ich bin ſelten in die Verſuchung gerathen, zu verſuchen. Und welche Warnung, meine ſchöne, meine edle Freundin, iſt mir der traurige Zuſtand, in den ich Sie verſetzt ſehe. Nehmen Sie ein Gelübde von mir, das meinem Herzen ganz angemeſſen iſt, das durch die Rührung, die
Aa 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0380"n="371"/>
ich durch die Schwere meiner Treue wie ein<lb/>
Rohr zu Boden zog, ja vielleicht gar zer¬<lb/>
brach.</p><lb/><p>Er hatte Aurelien ſeine Geſchichte mit<lb/>
Marianen vertraut, und konnte ſich alſo jetzt<lb/>
darauf beziehen. Sie ſah ihm ſtarr in die<lb/>
Augen, und fragte: können Sie ſagen, daß<lb/>
Sie noch niemals ein Weib betrogen, daß<lb/>
Sie keiner mit leichtſinniger Galanterie, mit<lb/>
frevelhafter Betheurung, mit herzlockenden<lb/>
Schwüren ihre Gunſt abzulocken geſucht?</p><lb/><p>Das kann ich, verſetzte Wilhelm, und<lb/>
zwar ohne Ruhmredigkeit; denn mein Leben<lb/>
war ſehr einfach, und ich bin ſelten in die<lb/>
Verſuchung gerathen, zu verſuchen. Und<lb/>
welche Warnung, meine ſchöne, meine edle<lb/>
Freundin, iſt mir der traurige Zuſtand, in<lb/>
den ich Sie verſetzt ſehe. Nehmen Sie ein<lb/>
Gelübde von mir, das meinem Herzen ganz<lb/>
angemeſſen iſt, das durch die Rührung, die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Aa 2<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[371/0380]
ich durch die Schwere meiner Treue wie ein
Rohr zu Boden zog, ja vielleicht gar zer¬
brach.
Er hatte Aurelien ſeine Geſchichte mit
Marianen vertraut, und konnte ſich alſo jetzt
darauf beziehen. Sie ſah ihm ſtarr in die
Augen, und fragte: können Sie ſagen, daß
Sie noch niemals ein Weib betrogen, daß
Sie keiner mit leichtſinniger Galanterie, mit
frevelhafter Betheurung, mit herzlockenden
Schwüren ihre Gunſt abzulocken geſucht?
Das kann ich, verſetzte Wilhelm, und
zwar ohne Ruhmredigkeit; denn mein Leben
war ſehr einfach, und ich bin ſelten in die
Verſuchung gerathen, zu verſuchen. Und
welche Warnung, meine ſchöne, meine edle
Freundin, iſt mir der traurige Zuſtand, in
den ich Sie verſetzt ſehe. Nehmen Sie ein
Gelübde von mir, das meinem Herzen ganz
angemeſſen iſt, das durch die Rührung, die
Aa 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/380>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.