ihm meine Liebe, mein Lob nicht geradezu ins Gesicht aufdringen wollte; war er abwe¬ send, dann hatte ich freyes Spiel, ich that mein Bestes mit einer gewissen Ruhe, mit einer unbeschreiblichen Zufriedenheit. Der Beyfall freute mich wieder, und wenn ich dem Publikum Vergnügen machte, hätte ich immer zugleich hinunter rufen mögen: das seyd ihr ihm schuldig!
Ja, mir war wie durch ein Wunder das Verhältniß zum Publikum, zur ganzen Na¬ tion verändert. Sie erschien mir auf einmal wieder in dem vortheilhaftesten Lichte, und ich erstaunte recht über meine bisherige Ver¬ blendung.
Wie unverständig, sagt ich oft zu mir selbst, war es, als du ehemals auf eine Na¬ tion schaltest, eben weil es eine Nation ist. Müssen denn, können denn einzelne Men¬ schen so interessant seyn? Keinesweges! Es
ihm meine Liebe, mein Lob nicht geradezu ins Geſicht aufdringen wollte; war er abwe¬ ſend, dann hatte ich freyes Spiel, ich that mein Beſtes mit einer gewiſſen Ruhe, mit einer unbeſchreiblichen Zufriedenheit. Der Beyfall freute mich wieder, und wenn ich dem Publikum Vergnügen machte, hätte ich immer zugleich hinunter rufen mögen: das ſeyd ihr ihm ſchuldig!
Ja, mir war wie durch ein Wunder das Verhältniß zum Publikum, zur ganzen Na¬ tion verändert. Sie erſchien mir auf einmal wieder in dem vortheilhafteſten Lichte, und ich erſtaunte recht über meine bisherige Ver¬ blendung.
Wie unverſtändig, ſagt ich oft zu mir ſelbſt, war es, als du ehemals auf eine Na¬ tion ſchalteſt, eben weil es eine Nation iſt. Müſſen denn, können denn einzelne Men¬ ſchen ſo intereſſant ſeyn? Keinesweges! Es
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ihm meine Liebe, mein Lob nicht geradezu
ins Geſicht aufdringen wollte; war er abwe¬
ſend, dann hatte ich freyes Spiel, ich that
mein Beſtes mit einer gewiſſen Ruhe, mit
einer unbeſchreiblichen Zufriedenheit. Der
Beyfall freute mich wieder, und wenn ich
dem Publikum Vergnügen machte, hätte ich
immer zugleich hinunter rufen mögen: das
ſeyd ihr ihm ſchuldig!
Ja, mir war wie durch ein Wunder das
Verhältniß zum Publikum, zur ganzen Na¬
tion verändert. Sie erſchien mir auf einmal
wieder in dem vortheilhafteſten Lichte, und
ich erſtaunte recht über meine bisherige Ver¬
blendung.
Wie unverſtändig, ſagt ich oft zu mir
ſelbſt, war es, als du ehemals auf eine Na¬
tion ſchalteſt, eben weil es eine Nation iſt.
Müſſen denn, können denn einzelne Men¬
ſchen ſo intereſſant ſeyn? Keinesweges! Es
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/338>, abgerufen am 24.11.2024.
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