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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Serlo schien im Ernste böse zu werden. --
Nimm es wie du willst, Bruder, fuhr sie
fort, kannst du denn wissen, ob mir nicht
etwa unter dieser Form ein köstlicher Talis¬
man bescheert ist; ob ich nicht Hülfe und
Rath zur schlimmsten Zeit bey ihm finde;
muß denn alles schädlich seyn, was gefähr¬
lich aussieht?

Dergleichen Reden, in denen kein Sinn
ist, können mich toll machen, sagte Serlo,
und verließ mit heimlichem Grimme das Zim¬
mer. Aurelie verwahrte den Dolch sorgfäl¬
tig in der Scheide, und steckte ihn zu sich.
Lassen Sie uns das Gespräch fortsetzen, das
der unglückliche Bruder gestört hat, fiel sie
ein, als Wilhelm einige Fragen über den
sonderbaren Streit vorbrachte.

Ich muß Ihre Schilderung Opheliens
wohl gelten lassen, fuhr sie fort: ich will die
Absicht des Dichters nicht verkennen; nur

Serlo ſchien im Ernſte böſe zu werden. —
Nimm es wie du willſt, Bruder, fuhr ſie
fort, kannſt du denn wiſſen, ob mir nicht
etwa unter dieſer Form ein köſtlicher Talis¬
man beſcheert iſt; ob ich nicht Hülfe und
Rath zur ſchlimmſten Zeit bey ihm finde;
muß denn alles ſchädlich ſeyn, was gefähr¬
lich ausſieht?

Dergleichen Reden, in denen kein Sinn
iſt, können mich toll machen, ſagte Serlo,
und verließ mit heimlichem Grimme das Zim¬
mer. Aurelie verwahrte den Dolch ſorgfäl¬
tig in der Scheide, und ſteckte ihn zu ſich.
Laſſen Sie uns das Geſpräch fortſetzen, das
der unglückliche Bruder geſtört hat, fiel ſie
ein, als Wilhelm einige Fragen über den
ſonderbaren Streit vorbrachte.

Ich muß Ihre Schilderung Opheliens
wohl gelten laſſen, fuhr ſie fort: ich will die
Abſicht des Dichters nicht verkennen; nur

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[309/0318] Serlo ſchien im Ernſte böſe zu werden. — Nimm es wie du willſt, Bruder, fuhr ſie fort, kannſt du denn wiſſen, ob mir nicht etwa unter dieſer Form ein köſtlicher Talis¬ man beſcheert iſt; ob ich nicht Hülfe und Rath zur ſchlimmſten Zeit bey ihm finde; muß denn alles ſchädlich ſeyn, was gefähr¬ lich ausſieht? Dergleichen Reden, in denen kein Sinn iſt, können mich toll machen, ſagte Serlo, und verließ mit heimlichem Grimme das Zim¬ mer. Aurelie verwahrte den Dolch ſorgfäl¬ tig in der Scheide, und ſteckte ihn zu ſich. Laſſen Sie uns das Geſpräch fortſetzen, das der unglückliche Bruder geſtört hat, fiel ſie ein, als Wilhelm einige Fragen über den ſonderbaren Streit vorbrachte. Ich muß Ihre Schilderung Opheliens wohl gelten laſſen, fuhr ſie fort: ich will die Abſicht des Dichters nicht verkennen; nur

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/318>, abgerufen am 24.11.2024.