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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Begriffe von dem männlichen Geschlechte
machen? Wie dumpf, dringend, dreist, unge¬
schickt war jeder, den sie herbeyreizte, wie
satt, übermüthig, leer und abgeschmackt da¬
gegen, sobald er seiner Wünsche Befriedigung
gefunden hatte. So hab' ich diese Frau
Jahre lang unter dem Gebote der schlechte¬
sten Menschen erniedrigt gesehen; was für
Begegnungen mußte sie nicht erdulden, und
mit welcher Stirne wußte sie sich in ihr
Schicksal zu finden, ja mit welcher Art diese
schändlichen Fesseln zu tragen.

So lernte ich Ihr Geschlecht kennen,
mein Freund, und wie rein haßte ichs, da
ich zu bemerken schien, daß selbst leidliche
Männer, im Verhältniß gegen das unsrige,
jedem guten Gefühl zu entsagen schienen, zu
dem sie die Natur sonst noch mochte fähig
gemacht haben.

Leider mußt' ich auch bey solchen Gele¬

Begriffe von dem männlichen Geſchlechte
machen? Wie dumpf, dringend, dreiſt, unge¬
ſchickt war jeder, den ſie herbeyreizte, wie
ſatt, übermüthig, leer und abgeſchmackt da¬
gegen, ſobald er ſeiner Wünſche Befriedigung
gefunden hatte. So hab’ ich dieſe Frau
Jahre lang unter dem Gebote der ſchlechte¬
ſten Menſchen erniedrigt geſehen; was für
Begegnungen mußte ſie nicht erdulden, und
mit welcher Stirne wußte ſie ſich in ihr
Schickſal zu finden, ja mit welcher Art dieſe
ſchändlichen Feſſeln zu tragen.

So lernte ich Ihr Geſchlecht kennen,
mein Freund, und wie rein haßte ichs, da
ich zu bemerken ſchien, daß ſelbſt leidliche
Männer, im Verhältniß gegen das unſrige,
jedem guten Gefühl zu entſagen ſchienen, zu
dem ſie die Natur ſonſt noch mochte fähig
gemacht haben.

Leider mußt’ ich auch bey ſolchen Gele¬

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[298/0307] Begriffe von dem männlichen Geſchlechte machen? Wie dumpf, dringend, dreiſt, unge¬ ſchickt war jeder, den ſie herbeyreizte, wie ſatt, übermüthig, leer und abgeſchmackt da¬ gegen, ſobald er ſeiner Wünſche Befriedigung gefunden hatte. So hab’ ich dieſe Frau Jahre lang unter dem Gebote der ſchlechte¬ ſten Menſchen erniedrigt geſehen; was für Begegnungen mußte ſie nicht erdulden, und mit welcher Stirne wußte ſie ſich in ihr Schickſal zu finden, ja mit welcher Art dieſe ſchändlichen Feſſeln zu tragen. So lernte ich Ihr Geſchlecht kennen, mein Freund, und wie rein haßte ichs, da ich zu bemerken ſchien, daß ſelbſt leidliche Männer, im Verhältniß gegen das unſrige, jedem guten Gefühl zu entſagen ſchienen, zu dem ſie die Natur ſonſt noch mochte fähig gemacht haben. Leider mußt’ ich auch bey ſolchen Gele¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/307>, abgerufen am 23.11.2024.