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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Verdruß nicht denken konnte. Denn ob er
gleich am Abend jenes bösen Tages sich vor
der Gesellschaft so ziemlich herausgeredet hat¬
te; so konnte er sich doch selbst seine Schuld
nicht verleugnen. Er schrieb sich vielmehr in
hypochondrischen Augenblicken den ganzen
Vorfall allein zu.

Die Eigenliebe läßt uns sowohl unsre
Tugenden als unsre Fehler viel bedeutender,
als sie sind, erscheinen. Er hatte das Ver¬
trauen auf sich rege gemacht, den Willen der
übrigen gelenkt, und war von Unerfahrenheit
und Kühnheit geleitet, vorangegangen; es
ergriff sie eine Gefahr, der sie nicht gewach¬
sen waren. Laute und stille Vorwürfe ver¬
folgten ihn, und wenn er der irregeführten
Gesellschaft nach dem empfindlichen Verluste
zugesagt hatte, sie nicht zu verlassen, bis er
ihnen das Verlorne mit Wucher ersetzt hät¬
te; so hatte er sich über eine neue Verwe¬

Verdruß nicht denken konnte. Denn ob er
gleich am Abend jenes böſen Tages ſich vor
der Geſellſchaft ſo ziemlich herausgeredet hat¬
te; ſo konnte er ſich doch ſelbſt ſeine Schuld
nicht verleugnen. Er ſchrieb ſich vielmehr in
hypochondriſchen Augenblicken den ganzen
Vorfall allein zu.

Die Eigenliebe läßt uns ſowohl unſre
Tugenden als unſre Fehler viel bedeutender,
als ſie ſind, erſcheinen. Er hatte das Ver¬
trauen auf ſich rege gemacht, den Willen der
übrigen gelenkt, und war von Unerfahrenheit
und Kühnheit geleitet, vorangegangen; es
ergriff ſie eine Gefahr, der ſie nicht gewach¬
ſen waren. Laute und ſtille Vorwürfe ver¬
folgten ihn, und wenn er der irregeführten
Geſellſchaft nach dem empfindlichen Verluſte
zugeſagt hatte, ſie nicht zu verlaſſen, bis er
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[269/0278] Verdruß nicht denken konnte. Denn ob er gleich am Abend jenes böſen Tages ſich vor der Geſellſchaft ſo ziemlich herausgeredet hat¬ te; ſo konnte er ſich doch ſelbſt ſeine Schuld nicht verleugnen. Er ſchrieb ſich vielmehr in hypochondriſchen Augenblicken den ganzen Vorfall allein zu. Die Eigenliebe läßt uns ſowohl unſre Tugenden als unſre Fehler viel bedeutender, als ſie ſind, erſcheinen. Er hatte das Ver¬ trauen auf ſich rege gemacht, den Willen der übrigen gelenkt, und war von Unerfahrenheit und Kühnheit geleitet, vorangegangen; es ergriff ſie eine Gefahr, der ſie nicht gewach¬ ſen waren. Laute und ſtille Vorwürfe ver¬ folgten ihn, und wenn er der irregeführten Geſellſchaft nach dem empfindlichen Verluſte zugeſagt hatte, ſie nicht zu verlaſſen, bis er ihnen das Verlorne mit Wucher erſetzt hät¬ te; ſo hatte er ſich über eine neue Verwe¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/278>, abgerufen am 22.11.2024.