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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Gunst befördern, noch durch Geschenke be¬
glücken. Wir haben nichts als uns selbst.
Dieses ganze Selbst müssen wir hingeben,
und, wenn es einigen Werth haben soll, dem
Freunde das Gut auf ewig versichern. Welch
ein Genuß, welch ein Glück für den Geber
und Empfänger! In welchen seeligen Zu¬
stand versetzt uns die Treue, sie giebt dem
vorübergehenden Menschenleben eine himm¬
lische Gewißheit; sie macht das Hauptcapital
unsres Reichthums aus.

Mignon hatte sich ihm unter diesen Wor¬
ten genähert, schlang seine zarten Arme um
ihn, und blieb mit dem Köpfchen an seine
Brust gelehnt stehen. Er legte die Hand
auf des Kindes Haupt, und fuhr fort: Wie
leicht wird es einem Großen, die Gemüther
zu gewinnen, wie leicht eignet er sich die
Herzen zu. Ein gefälliges, bequemes, nur
einigermaßen menschliches Betragen thut

Gunſt befördern, noch durch Geſchenke be¬
glücken. Wir haben nichts als uns ſelbſt.
Dieſes ganze Selbſt müſſen wir hingeben,
und, wenn es einigen Werth haben ſoll, dem
Freunde das Gut auf ewig verſichern. Welch
ein Genuß, welch ein Glück für den Geber
und Empfänger! In welchen ſeeligen Zu¬
ſtand verſetzt uns die Treue, ſie giebt dem
vorübergehenden Menſchenleben eine himm¬
liſche Gewißheit; ſie macht das Hauptcapital
unſres Reichthums aus.

Mignon hatte ſich ihm unter dieſen Wor¬
ten genähert, ſchlang ſeine zarten Arme um
ihn, und blieb mit dem Köpfchen an ſeine
Bruſt gelehnt ſtehen. Er legte die Hand
auf des Kindes Haupt, und fuhr fort: Wie
leicht wird es einem Großen, die Gemüther
zu gewinnen, wie leicht eignet er ſich die
Herzen zu. Ein gefälliges, bequemes, nur
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[188/0196] Gunſt befördern, noch durch Geſchenke be¬ glücken. Wir haben nichts als uns ſelbſt. Dieſes ganze Selbſt müſſen wir hingeben, und, wenn es einigen Werth haben ſoll, dem Freunde das Gut auf ewig verſichern. Welch ein Genuß, welch ein Glück für den Geber und Empfänger! In welchen ſeeligen Zu¬ ſtand verſetzt uns die Treue, ſie giebt dem vorübergehenden Menſchenleben eine himm¬ liſche Gewißheit; ſie macht das Hauptcapital unſres Reichthums aus. Mignon hatte ſich ihm unter dieſen Wor¬ ten genähert, ſchlang ſeine zarten Arme um ihn, und blieb mit dem Köpfchen an ſeine Bruſt gelehnt ſtehen. Er legte die Hand auf des Kindes Haupt, und fuhr fort: Wie leicht wird es einem Großen, die Gemüther zu gewinnen, wie leicht eignet er ſich die Herzen zu. Ein gefälliges, bequemes, nur einigermaßen menſchliches Betragen thut

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/196>, abgerufen am 22.11.2024.