Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

bey Ihnen, aber Sie sind in Gefahr. Sie
wissen nicht, wen Sie in Ihrer Nähe hegen.
Ich bin schuldig, aber unglücklicher als schul¬
dig. Meine Gegenwart verscheucht das
Glück, und die gute That wird ohnmächtig,
wenn ich dazu trete. Flüchtig und unstät
sollt ich seyn, daß mein unglücklicher Genius
mich nicht einholet, der mich nur langsam
verfolgt, und nur dann sich merken läßt,
wenn ich mein Haupt niederlegen und ruhen
will. Dankbarer kann ich mich nicht bezei¬
gen, als wenn ich Sie verlasse.

Sonderbarer Mensch! du kannst mir das
Vertrauen in dich so wenig nehmen, als die
Hoffnung, dich glücklich zu sehen. Ich will
in die Geheimnisse deines Aberglaubens nicht
eindringen, aber wenn du ja in Ahndung
wunderbarer Verknüpfungen und Vorbedeu¬
tungen lebst; so sage ich dir zu deinem Trost
und zu deiner Aufmunterung: geselle dich zu

bey Ihnen, aber Sie ſind in Gefahr. Sie
wiſſen nicht, wen Sie in Ihrer Nähe hegen.
Ich bin ſchuldig, aber unglücklicher als ſchul¬
dig. Meine Gegenwart verſcheucht das
Glück, und die gute That wird ohnmächtig,
wenn ich dazu trete. Flüchtig und unſtät
ſollt ich ſeyn, daß mein unglücklicher Genius
mich nicht einholet, der mich nur langſam
verfolgt, und nur dann ſich merken läßt,
wenn ich mein Haupt niederlegen und ruhen
will. Dankbarer kann ich mich nicht bezei¬
gen, als wenn ich Sie verlaſſe.

Sonderbarer Menſch! du kannſt mir das
Vertrauen in dich ſo wenig nehmen, als die
Hoffnung, dich glücklich zu ſehen. Ich will
in die Geheimniſſe deines Aberglaubens nicht
eindringen, aber wenn du ja in Ahndung
wunderbarer Verknüpfungen und Vorbedeu¬
tungen lebſt; ſo ſage ich dir zu deinem Troſt
und zu deiner Aufmunterung: geſelle dich zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0186" n="178"/>
bey Ihnen, aber Sie &#x017F;ind in Gefahr. Sie<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en nicht, wen Sie in Ihrer Nähe hegen.<lb/>
Ich bin &#x017F;chuldig, aber unglücklicher als &#x017F;chul¬<lb/>
dig. Meine Gegenwart ver&#x017F;cheucht das<lb/>
Glück, und die gute That wird ohnmächtig,<lb/>
wenn ich dazu trete. Flüchtig und un&#x017F;tät<lb/>
&#x017F;ollt ich &#x017F;eyn, daß mein unglücklicher Genius<lb/>
mich nicht einholet, der mich nur lang&#x017F;am<lb/>
verfolgt, und nur dann &#x017F;ich merken läßt,<lb/>
wenn ich mein Haupt niederlegen und ruhen<lb/>
will. Dankbarer kann ich mich nicht bezei¬<lb/>
gen, als wenn ich Sie verla&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
            <p>Sonderbarer Men&#x017F;ch! du kann&#x017F;t mir das<lb/>
Vertrauen in dich &#x017F;o wenig nehmen, als die<lb/>
Hoffnung, dich glücklich zu &#x017F;ehen. Ich will<lb/>
in die Geheimni&#x017F;&#x017F;e deines Aberglaubens nicht<lb/>
eindringen, aber wenn du ja in Ahndung<lb/>
wunderbarer Verknüpfungen und Vorbedeu¬<lb/>
tungen leb&#x017F;t; &#x017F;o &#x017F;age ich dir zu deinem Tro&#x017F;t<lb/>
und zu deiner Aufmunterung: ge&#x017F;elle dich zu<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0186] bey Ihnen, aber Sie ſind in Gefahr. Sie wiſſen nicht, wen Sie in Ihrer Nähe hegen. Ich bin ſchuldig, aber unglücklicher als ſchul¬ dig. Meine Gegenwart verſcheucht das Glück, und die gute That wird ohnmächtig, wenn ich dazu trete. Flüchtig und unſtät ſollt ich ſeyn, daß mein unglücklicher Genius mich nicht einholet, der mich nur langſam verfolgt, und nur dann ſich merken läßt, wenn ich mein Haupt niederlegen und ruhen will. Dankbarer kann ich mich nicht bezei¬ gen, als wenn ich Sie verlaſſe. Sonderbarer Menſch! du kannſt mir das Vertrauen in dich ſo wenig nehmen, als die Hoffnung, dich glücklich zu ſehen. Ich will in die Geheimniſſe deines Aberglaubens nicht eindringen, aber wenn du ja in Ahndung wunderbarer Verknüpfungen und Vorbedeu¬ tungen lebſt; ſo ſage ich dir zu deinem Troſt und zu deiner Aufmunterung: geſelle dich zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/186
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/186>, abgerufen am 24.11.2024.