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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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großen französischen Theaterschriftsteller lese?
darauf ihm denn Wilhelm mit einem sehr
lebhaften Ja antwortete. Er bemerkte nicht,
daß der Fürst, ohne seine Antwort abzuwar¬
ten, schon im Begriff war sich weg und zu
jemand anders zu wenden, er faßte ihn viel¬
mehr sogleich und trat ihm beynah in den
Weg, indem er fortfuhr: er schätze das fran¬
zösische Theater sehr hoch und lese die Werke
der großen Meister mit Entzücken, besonders
habe er zu wahrer Freude gehört, daß der
Fürst den großen Talenten eines Racine völ¬
lige Gerechtigkeit wiederfahren lasse. Ich
kann es mir vorstellen, fuhr er fort, wie
vornehme und erhabene Personen einen Dich¬
ter schätzen müssen, der die Zustände ihrer
höheren Verhältnisse so vortrefflich und rich¬
tig schildert. Corneille hat, wenn ich so sa¬
gen darf, große Menschen dargestellt, und
Racine vornehme Personen. Ich kann mir,

W. Meisters Lehrj. G

großen franzöſiſchen Theaterſchriftſteller leſe?
darauf ihm denn Wilhelm mit einem ſehr
lebhaften Ja antwortete. Er bemerkte nicht,
daß der Fürſt, ohne ſeine Antwort abzuwar¬
ten, ſchon im Begriff war ſich weg und zu
jemand anders zu wenden, er faßte ihn viel¬
mehr ſogleich und trat ihm beynah in den
Weg, indem er fortfuhr: er ſchätze das fran¬
zöſiſche Theater ſehr hoch und leſe die Werke
der großen Meiſter mit Entzücken, beſonders
habe er zu wahrer Freude gehört, daß der
Fürſt den großen Talenten eines Racine völ¬
lige Gerechtigkeit wiederfahren laſſe. Ich
kann es mir vorſtellen, fuhr er fort, wie
vornehme und erhabene Perſonen einen Dich¬
ter ſchätzen müſſen, der die Zuſtände ihrer
höheren Verhältniſſe ſo vortrefflich und rich¬
tig ſchildert. Corneille hat, wenn ich ſo ſa¬
gen darf, große Menſchen dargeſtellt, und
Racine vornehme Perſonen. Ich kann mir,

W. Meiſters Lehrj. G
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[97/0105] großen franzöſiſchen Theaterſchriftſteller leſe? darauf ihm denn Wilhelm mit einem ſehr lebhaften Ja antwortete. Er bemerkte nicht, daß der Fürſt, ohne ſeine Antwort abzuwar¬ ten, ſchon im Begriff war ſich weg und zu jemand anders zu wenden, er faßte ihn viel¬ mehr ſogleich und trat ihm beynah in den Weg, indem er fortfuhr: er ſchätze das fran¬ zöſiſche Theater ſehr hoch und leſe die Werke der großen Meiſter mit Entzücken, beſonders habe er zu wahrer Freude gehört, daß der Fürſt den großen Talenten eines Racine völ¬ lige Gerechtigkeit wiederfahren laſſe. Ich kann es mir vorſtellen, fuhr er fort, wie vornehme und erhabene Perſonen einen Dich¬ ter ſchätzen müſſen, der die Zuſtände ihrer höheren Verhältniſſe ſo vortrefflich und rich¬ tig ſchildert. Corneille hat, wenn ich ſo ſa¬ gen darf, große Menſchen dargeſtellt, und Racine vornehme Perſonen. Ich kann mir, W. Meiſters Lehrj. G

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/105>, abgerufen am 25.11.2024.