setzt war, nur einzeln: Vergnügen und Ver¬ druß lösten sich ab, Demüthigung wurde durch Eitelkeit, und Mangel oft durch au¬ genblicklichen Überfluß vergütet; sie konnte Noth und Gewohnheit sich als Gesetz und Rechtfertigung anführen, und so lange ließen sich alle unangenehme Empfindungen von Stund zu Stunde, von Tag zu Tage ab¬ schütteln. Nun aber hatte das arme Mäd¬ chen sich Augenblicke in eine bessere Welt hinüber gerückt gefühlt, hatte, wie von oben herab, aus Licht und Freude ins öde, ver¬ worfene ihres Lebens herunter gesehen, hatte gefühlt, welche elende Creatur ein Weib ist, das mit dem Verlangen nicht zugleich Liebe und Ehrfurcht einflöst, und fand sich äußer¬ lich und innerlich um nichts gebessert. Sie hatte nichts, was sie aufrichten konnte. Wenn sie in sich blickte und suchte, war es in ihrem Geiste leer, und ihr Herz hatte kei¬
ſetzt war, nur einzeln: Vergnügen und Ver¬ druß löſten ſich ab, Demüthigung wurde durch Eitelkeit, und Mangel oft durch au¬ genblicklichen Überfluß vergütet; ſie konnte Noth und Gewohnheit ſich als Geſetz und Rechtfertigung anführen, und ſo lange ließen ſich alle unangenehme Empfindungen von Stund zu Stunde, von Tag zu Tage ab¬ ſchütteln. Nun aber hatte das arme Mäd¬ chen ſich Augenblicke in eine beſſere Welt hinüber gerückt gefühlt, hatte, wie von oben herab, aus Licht und Freude ins öde, ver¬ worfene ihres Lebens herunter geſehen, hatte gefühlt, welche elende Creatur ein Weib iſt, das mit dem Verlangen nicht zugleich Liebe und Ehrfurcht einflöst, und fand ſich äußer¬ lich und innerlich um nichts gebeſſert. Sie hatte nichts, was ſie aufrichten konnte. Wenn ſie in ſich blickte und ſuchte, war es in ihrem Geiſte leer, und ihr Herz hatte kei¬
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ſetzt war, nur einzeln: Vergnügen und Ver¬
druß löſten ſich ab, Demüthigung wurde
durch Eitelkeit, und Mangel oft durch au¬
genblicklichen Überfluß vergütet; ſie konnte
Noth und Gewohnheit ſich als Geſetz und
Rechtfertigung anführen, und ſo lange ließen
ſich alle unangenehme Empfindungen von
Stund zu Stunde, von Tag zu Tage ab¬
ſchütteln. Nun aber hatte das arme Mäd¬
chen ſich Augenblicke in eine beſſere Welt
hinüber gerückt gefühlt, hatte, wie von oben
herab, aus Licht und Freude ins öde, ver¬
worfene ihres Lebens herunter geſehen, hatte
gefühlt, welche elende Creatur ein Weib iſt,
das mit dem Verlangen nicht zugleich Liebe
und Ehrfurcht einflöst, und fand ſich äußer¬
lich und innerlich um nichts gebeſſert. Sie
hatte nichts, was ſie aufrichten konnte.
Wenn ſie in ſich blickte und ſuchte, war es
in ihrem Geiſte leer, und ihr Herz hatte kei¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/81>, abgerufen am 04.12.2024.
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