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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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und ich ließ gleich wieder neue Kleider dazu
machen. Über solchen Anstalten waren die
ursprünglichen Kleidungsstücke meiner Helden
in Unordnung gerathen und verschleppt wor¬
den, daß also nicht einmal das erste große
Stück mehr aufgeführt werden konnte. Ich
überließ mich meiner Phantasie, probirte und
bereitete ewig, baute tausend Luftschlösser,
und spürte nicht, daß ich den Grund des
kleinen Gebäudes zerstört hatte.

Während dieser Erzählung hatte Maria¬
ne alle ihre Freundlichkeit gegen Wilhelm
aufgeboten, um ihre Schläfrigkeit zu verber¬
gen. So scherzhaft die Begebenheit von ei¬
ner Seite schien, so war sie ihr doch zu ein¬
fach, und die Betrachtungen dabey zu ernst¬
haft. Sie setzte zärtlich ihren Fuß auf den
Fuß des Geliebten, und gab ihm scheinbare
Zeichen ihrer Aufmerksamkeit und ihres Bey¬
falls. Sie trank aus seinem Glase, und Wil¬

und ich ließ gleich wieder neue Kleider dazu
machen. Über ſolchen Anſtalten waren die
urſprünglichen Kleidungsſtücke meiner Helden
in Unordnung gerathen und verſchleppt wor¬
den, daß alſo nicht einmal das erſte große
Stück mehr aufgeführt werden konnte. Ich
überließ mich meiner Phantaſie, probirte und
bereitete ewig, baute tauſend Luftſchlöſſer,
und ſpürte nicht, daß ich den Grund des
kleinen Gebäudes zerſtört hatte.

Während dieſer Erzählung hatte Maria¬
ne alle ihre Freundlichkeit gegen Wilhelm
aufgeboten, um ihre Schläfrigkeit zu verber¬
gen. So ſcherzhaft die Begebenheit von ei¬
ner Seite ſchien, ſo war ſie ihr doch zu ein¬
fach, und die Betrachtungen dabey zu ernſt¬
haft. Sie ſetzte zärtlich ihren Fuß auf den
Fuß des Geliebten, und gab ihm ſcheinbare
Zeichen ihrer Aufmerkſamkeit und ihres Bey¬
falls. Sie trank aus ſeinem Glaſe, und Wil¬

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[47/0055] und ich ließ gleich wieder neue Kleider dazu machen. Über ſolchen Anſtalten waren die urſprünglichen Kleidungsſtücke meiner Helden in Unordnung gerathen und verſchleppt wor¬ den, daß alſo nicht einmal das erſte große Stück mehr aufgeführt werden konnte. Ich überließ mich meiner Phantaſie, probirte und bereitete ewig, baute tauſend Luftſchlöſſer, und ſpürte nicht, daß ich den Grund des kleinen Gebäudes zerſtört hatte. Während dieſer Erzählung hatte Maria¬ ne alle ihre Freundlichkeit gegen Wilhelm aufgeboten, um ihre Schläfrigkeit zu verber¬ gen. So ſcherzhaft die Begebenheit von ei¬ ner Seite ſchien, ſo war ſie ihr doch zu ein¬ fach, und die Betrachtungen dabey zu ernſt¬ haft. Sie ſetzte zärtlich ihren Fuß auf den Fuß des Geliebten, und gab ihm ſcheinbare Zeichen ihrer Aufmerkſamkeit und ihres Bey¬ falls. Sie trank aus ſeinem Glaſe, und Wil¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/55>, abgerufen am 24.11.2024.