Heiligthum öfnete, um etwas heraus zu ho¬ len, einen verstohlnen Blick that; desto schnel¬ ler war ich, einen Augenblick zu benutzen, den mich die Nachlässigkeit der Wirthschafterin¬ nen manchmal treffen ließ.
Unter allen Thüren war, wie man leicht erachten kann, die Thüre der Speisekammer diejenige, auf die meine Sinne am schärfsten gerichtet waren. Wenig ahndungsvolle Freu¬ den des Lebens glichen der Empfindung, wenn mich meine Mutter manchmal hinein¬ rief, um ihr etwas heraustragen zu helfen, und ich denn einige gedörrte Pflaumen ent¬ weder ihrer Güte oder meiner List zu dan¬ ken hatte. Die aufgehäuften Schätze über¬ einander umfingen meine Einbildungskraft mit ihrer Fülle, und selbst der wunderliche Geruch, den so mancherley Spezereyen durch¬ einander aushauchten, hatte so eine leckere Wirkung auf mich, daß ich niemals ver¬
Heiligthum öfnete, um etwas heraus zu ho¬ len, einen verſtohlnen Blick that; deſto ſchnel¬ ler war ich, einen Augenblick zu benutzen, den mich die Nachläſſigkeit der Wirthſchafterin¬ nen manchmal treffen ließ.
Unter allen Thüren war, wie man leicht erachten kann, die Thüre der Speiſekammer diejenige, auf die meine Sinne am ſchärfſten gerichtet waren. Wenig ahndungsvolle Freu¬ den des Lebens glichen der Empfindung, wenn mich meine Mutter manchmal hinein¬ rief, um ihr etwas heraustragen zu helfen, und ich denn einige gedörrte Pflaumen ent¬ weder ihrer Güte oder meiner Liſt zu dan¬ ken hatte. Die aufgehäuften Schätze über¬ einander umfingen meine Einbildungskraft mit ihrer Fülle, und ſelbſt der wunderliche Geruch, den ſo mancherley Spezereyen durch¬ einander aushauchten, hatte ſo eine leckere Wirkung auf mich, daß ich niemals ver¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0042"n="34"/>
Heiligthum öfnete, um etwas heraus zu ho¬<lb/>
len, einen verſtohlnen Blick that; deſto ſchnel¬<lb/>
ler war ich, einen Augenblick zu benutzen, den<lb/>
mich die Nachläſſigkeit der Wirthſchafterin¬<lb/>
nen manchmal treffen ließ.</p><lb/><p>Unter allen Thüren war, wie man leicht<lb/>
erachten kann, die Thüre der Speiſekammer<lb/>
diejenige, auf die meine Sinne am ſchärfſten<lb/>
gerichtet waren. Wenig ahndungsvolle Freu¬<lb/>
den des Lebens glichen der Empfindung,<lb/>
wenn mich meine Mutter manchmal hinein¬<lb/>
rief, um ihr etwas heraustragen zu helfen,<lb/>
und ich denn einige gedörrte Pflaumen ent¬<lb/>
weder ihrer Güte oder meiner Liſt zu dan¬<lb/>
ken hatte. Die aufgehäuften Schätze über¬<lb/>
einander umfingen meine Einbildungskraft<lb/>
mit ihrer Fülle, und ſelbſt der wunderliche<lb/>
Geruch, den ſo mancherley Spezereyen durch¬<lb/>
einander aushauchten, hatte ſo eine leckere<lb/>
Wirkung auf mich, daß ich niemals ver¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[34/0042]
Heiligthum öfnete, um etwas heraus zu ho¬
len, einen verſtohlnen Blick that; deſto ſchnel¬
ler war ich, einen Augenblick zu benutzen, den
mich die Nachläſſigkeit der Wirthſchafterin¬
nen manchmal treffen ließ.
Unter allen Thüren war, wie man leicht
erachten kann, die Thüre der Speiſekammer
diejenige, auf die meine Sinne am ſchärfſten
gerichtet waren. Wenig ahndungsvolle Freu¬
den des Lebens glichen der Empfindung,
wenn mich meine Mutter manchmal hinein¬
rief, um ihr etwas heraustragen zu helfen,
und ich denn einige gedörrte Pflaumen ent¬
weder ihrer Güte oder meiner Liſt zu dan¬
ken hatte. Die aufgehäuften Schätze über¬
einander umfingen meine Einbildungskraft
mit ihrer Fülle, und ſelbſt der wunderliche
Geruch, den ſo mancherley Spezereyen durch¬
einander aushauchten, hatte ſo eine leckere
Wirkung auf mich, daß ich niemals ver¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/42>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.