Man war nicht lange gefahren, als der Schiffer stille hielt, um mit Erlaubniß der Gesellschaft noch jemand einzunehmen, der am Ufer stand, und gewinkt hatte.
Das ist eben noch, was wir brauchten, rief Philine, ein blinder Passagier fehlte noch der Reisegesellschaft.
Ein wohlgebildeter Mann stieg in das Schiff, den man an seiner Kleidung und sei¬ ner ehrwürdigen Miene wohl für einen Geist¬ lichen hätte nehmen können. Er begrüßte die Gesellschaft, die ihm nach ihrer Weise dankte, und ihn bald mit ihrem Scherz be¬ kannt machte. Er nahm darauf die Rolle eines Landgeistlichen an, die er zur Verwun¬ derung aller auf das artigste durchsetzte, in¬ dem er bald ermahnte, bald Histörchen er¬ zählte, einige schwache Seiten blicken ließ, und sich doch im Respekt zu erhalten wußte.
Indessen hatte jeder, der nur ein einzi¬
Man war nicht lange gefahren, als der Schiffer ſtille hielt, um mit Erlaubniß der Geſellſchaft noch jemand einzunehmen, der am Ufer ſtand, und gewinkt hatte.
Das iſt eben noch, was wir brauchten, rief Philine, ein blinder Paſſagier fehlte noch der Reiſegeſellſchaft.
Ein wohlgebildeter Mann ſtieg in das Schiff, den man an ſeiner Kleidung und ſei¬ ner ehrwürdigen Miene wohl für einen Geiſt¬ lichen hätte nehmen können. Er begrüßte die Geſellſchaft, die ihm nach ihrer Weiſe dankte, und ihn bald mit ihrem Scherz be¬ kannt machte. Er nahm darauf die Rolle eines Landgeiſtlichen an, die er zur Verwun¬ derung aller auf das artigſte durchſetzte, in¬ dem er bald ermahnte, bald Hiſtörchen er¬ zählte, einige ſchwache Seiten blicken ließ, und ſich doch im Reſpekt zu erhalten wußte.
Indeſſen hatte jeder, der nur ein einzi¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0307"n="299"/><p>Man war nicht lange gefahren, als der<lb/>
Schiffer ſtille hielt, um mit Erlaubniß der<lb/>
Geſellſchaft noch jemand einzunehmen, der<lb/>
am Ufer ſtand, und gewinkt hatte.</p><lb/><p>Das iſt eben noch, was wir brauchten,<lb/>
rief Philine, ein blinder Paſſagier fehlte<lb/>
noch der Reiſegeſellſchaft.</p><lb/><p>Ein wohlgebildeter Mann ſtieg in das<lb/>
Schiff, den man an ſeiner Kleidung und ſei¬<lb/>
ner ehrwürdigen Miene wohl für einen Geiſt¬<lb/>
lichen hätte nehmen können. Er begrüßte<lb/>
die Geſellſchaft, die ihm nach ihrer Weiſe<lb/>
dankte, und ihn bald mit ihrem Scherz be¬<lb/>
kannt machte. Er nahm darauf die Rolle<lb/>
eines Landgeiſtlichen an, die er zur Verwun¬<lb/>
derung aller auf das artigſte durchſetzte, in¬<lb/>
dem er bald ermahnte, bald Hiſtörchen er¬<lb/>
zählte, einige ſchwache Seiten blicken ließ,<lb/>
und ſich doch im Reſpekt zu erhalten wußte.</p><lb/><p>Indeſſen hatte jeder, der nur ein einzi¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[299/0307]
Man war nicht lange gefahren, als der
Schiffer ſtille hielt, um mit Erlaubniß der
Geſellſchaft noch jemand einzunehmen, der
am Ufer ſtand, und gewinkt hatte.
Das iſt eben noch, was wir brauchten,
rief Philine, ein blinder Paſſagier fehlte
noch der Reiſegeſellſchaft.
Ein wohlgebildeter Mann ſtieg in das
Schiff, den man an ſeiner Kleidung und ſei¬
ner ehrwürdigen Miene wohl für einen Geiſt¬
lichen hätte nehmen können. Er begrüßte
die Geſellſchaft, die ihm nach ihrer Weiſe
dankte, und ihn bald mit ihrem Scherz be¬
kannt machte. Er nahm darauf die Rolle
eines Landgeiſtlichen an, die er zur Verwun¬
derung aller auf das artigſte durchſetzte, in¬
dem er bald ermahnte, bald Hiſtörchen er¬
zählte, einige ſchwache Seiten blicken ließ,
und ſich doch im Reſpekt zu erhalten wußte.
Indeſſen hatte jeder, der nur ein einzi¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/307>, abgerufen am 27.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.