sah sie als Wöchnerin, als Mutter in der Welt ohne Hülfe herumirren, wahrscheinlich mit seinem eigenen Kinde herumirren. Vor¬ stellungen, welche das schmerzlichste Gefühl in ihm erregten.
Mignon hatte auf ihn gewartet, und leuchtete ihn die Treppe hinauf. Als sie das Licht niedergesetzt hatte, bat sie ihn, zu erlauben, daß sie ihm heute Abend mit einem Kunststücke aufwarten dürfe. Er hätte es lieber verbeten, besonders da er nicht wußte, was es werden sollte. Allein er konnte die¬ sem guten Geschöpfe nichts abschlagen. Nach einer kurzen Zeit trat sie wieder herein. Sie trug einen Teppich unter dem Arme, den sie auf der Erde ausbreitete. Wilhelm ließ sie gewähren. Sie brachte darauf vier Lichter, stellte eins in jeden Winkel des Teppichs. Ein Körbchen mit Eiern, das sie darauf hol¬ te, machte die Absicht deutlicher. Künstlich
W. Meisters Lehrj. T
ſah ſie als Wöchnerin, als Mutter in der Welt ohne Hülfe herumirren, wahrſcheinlich mit ſeinem eigenen Kinde herumirren. Vor¬ ſtellungen, welche das ſchmerzlichſte Gefühl in ihm erregten.
Mignon hatte auf ihn gewartet, und leuchtete ihn die Treppe hinauf. Als ſie das Licht niedergeſetzt hatte, bat ſie ihn, zu erlauben, daß ſie ihm heute Abend mit einem Kunſtſtücke aufwarten dürfe. Er hätte es lieber verbeten, beſonders da er nicht wußte, was es werden ſollte. Allein er konnte die¬ ſem guten Geſchöpfe nichts abſchlagen. Nach einer kurzen Zeit trat ſie wieder herein. Sie trug einen Teppich unter dem Arme, den ſie auf der Erde ausbreitete. Wilhelm ließ ſie gewähren. Sie brachte darauf vier Lichter, ſtellte eins in jeden Winkel des Teppichs. Ein Körbchen mit Eiern, das ſie darauf hol¬ te, machte die Abſicht deutlicher. Künſtlich
W. Meiſters Lehrj. T
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0297"n="289"/>ſah ſie als Wöchnerin, als Mutter in der<lb/>
Welt ohne Hülfe herumirren, wahrſcheinlich<lb/>
mit ſeinem eigenen Kinde herumirren. Vor¬<lb/>ſtellungen, welche das ſchmerzlichſte Gefühl<lb/>
in ihm erregten.</p><lb/><p>Mignon hatte auf ihn gewartet, und<lb/>
leuchtete ihn die Treppe hinauf. Als ſie<lb/>
das Licht niedergeſetzt hatte, bat ſie ihn, zu<lb/>
erlauben, daß ſie ihm heute Abend mit einem<lb/>
Kunſtſtücke aufwarten dürfe. Er hätte es<lb/>
lieber verbeten, beſonders da er nicht wußte,<lb/>
was es werden ſollte. Allein er konnte die¬<lb/>ſem guten Geſchöpfe nichts abſchlagen. Nach<lb/>
einer kurzen Zeit trat ſie wieder herein. Sie<lb/>
trug einen Teppich unter dem Arme, den ſie<lb/>
auf der Erde ausbreitete. Wilhelm ließ ſie<lb/>
gewähren. Sie brachte darauf vier Lichter,<lb/>ſtellte eins in jeden Winkel des Teppichs.<lb/>
Ein Körbchen mit Eiern, das ſie darauf hol¬<lb/>
te, machte die Abſicht deutlicher. Künſtlich<lb/><fwplace="bottom"type="sig">W. Meiſters Lehrj. T<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[289/0297]
ſah ſie als Wöchnerin, als Mutter in der
Welt ohne Hülfe herumirren, wahrſcheinlich
mit ſeinem eigenen Kinde herumirren. Vor¬
ſtellungen, welche das ſchmerzlichſte Gefühl
in ihm erregten.
Mignon hatte auf ihn gewartet, und
leuchtete ihn die Treppe hinauf. Als ſie
das Licht niedergeſetzt hatte, bat ſie ihn, zu
erlauben, daß ſie ihm heute Abend mit einem
Kunſtſtücke aufwarten dürfe. Er hätte es
lieber verbeten, beſonders da er nicht wußte,
was es werden ſollte. Allein er konnte die¬
ſem guten Geſchöpfe nichts abſchlagen. Nach
einer kurzen Zeit trat ſie wieder herein. Sie
trug einen Teppich unter dem Arme, den ſie
auf der Erde ausbreitete. Wilhelm ließ ſie
gewähren. Sie brachte darauf vier Lichter,
ſtellte eins in jeden Winkel des Teppichs.
Ein Körbchen mit Eiern, das ſie darauf hol¬
te, machte die Abſicht deutlicher. Künſtlich
W. Meiſters Lehrj. T
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/297>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.