getödtet glaubte, sich wieder zu bewegen an¬ fangen? Mußte nicht die Leidenschaft, über die er, abgeschieden von seiner Geliebten, Herr geworden war, in der Gegenwart die¬ ser Kleinigkeiten wieder mächtig werden? Denn wir merken erst, wie traurig und un¬ angenehm ein trüber Tag ist, wenn ein ein¬ ziger, durchdringender Sonnenblick uns den aufmunternden Glanz einer heitern Stunde darstellt.
Nicht ohne Bewegung sah er daher diese so lange bewahrten Heiligthümer nach ein¬ ander in Rauch und Flamme vor sich aufge¬ hen. Einigemal hielt er zaudernd inne, und hatte noch eine Perlenschnur und ein flohr¬ nes Halstuch übrig, als er sich entschloß, mit den dichterischen Versuchen seiner Jugend das abnehmende Feuer wieder aufzufrischen.
Bis jetzt hatte er alles sorgfältig aufge¬ hoben, was ihm, von der frühsten Entwick¬
getödtet glaubte, ſich wieder zu bewegen an¬ fangen? Mußte nicht die Leidenſchaft, über die er, abgeſchieden von ſeiner Geliebten, Herr geworden war, in der Gegenwart die¬ ſer Kleinigkeiten wieder mächtig werden? Denn wir merken erſt, wie traurig und un¬ angenehm ein trüber Tag iſt, wenn ein ein¬ ziger, durchdringender Sonnenblick uns den aufmunternden Glanz einer heitern Stunde darſtellt.
Nicht ohne Bewegung ſah er daher dieſe ſo lange bewahrten Heiligthümer nach ein¬ ander in Rauch und Flamme vor ſich aufge¬ hen. Einigemal hielt er zaudernd inne, und hatte noch eine Perlenſchnur und ein flohr¬ nes Halstuch übrig, als er ſich entſchloß, mit den dichteriſchen Verſuchen ſeiner Jugend das abnehmende Feuer wieder aufzufriſchen.
Bis jetzt hatte er alles ſorgfältig aufge¬ hoben, was ihm, von der frühſten Entwick¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0205"n="197"/>
getödtet glaubte, ſich wieder zu bewegen an¬<lb/>
fangen? Mußte nicht die Leidenſchaft, über<lb/>
die er, abgeſchieden von ſeiner Geliebten,<lb/>
Herr geworden war, in der Gegenwart die¬<lb/>ſer Kleinigkeiten wieder mächtig werden?<lb/>
Denn wir merken erſt, wie traurig und un¬<lb/>
angenehm ein trüber Tag iſt, wenn ein ein¬<lb/>
ziger, durchdringender Sonnenblick uns den<lb/>
aufmunternden Glanz einer heitern Stunde<lb/>
darſtellt.</p><lb/><p>Nicht ohne Bewegung ſah er daher dieſe<lb/>ſo lange bewahrten Heiligthümer nach ein¬<lb/>
ander in Rauch und Flamme vor ſich aufge¬<lb/>
hen. Einigemal hielt er zaudernd inne, und<lb/>
hatte noch eine Perlenſchnur und ein flohr¬<lb/>
nes Halstuch übrig, als er ſich entſchloß, mit<lb/>
den dichteriſchen Verſuchen ſeiner Jugend das<lb/>
abnehmende Feuer wieder aufzufriſchen.</p><lb/><p>Bis jetzt hatte er alles ſorgfältig aufge¬<lb/>
hoben, was ihm, von der frühſten Entwick¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[197/0205]
getödtet glaubte, ſich wieder zu bewegen an¬
fangen? Mußte nicht die Leidenſchaft, über
die er, abgeſchieden von ſeiner Geliebten,
Herr geworden war, in der Gegenwart die¬
ſer Kleinigkeiten wieder mächtig werden?
Denn wir merken erſt, wie traurig und un¬
angenehm ein trüber Tag iſt, wenn ein ein¬
ziger, durchdringender Sonnenblick uns den
aufmunternden Glanz einer heitern Stunde
darſtellt.
Nicht ohne Bewegung ſah er daher dieſe
ſo lange bewahrten Heiligthümer nach ein¬
ander in Rauch und Flamme vor ſich aufge¬
hen. Einigemal hielt er zaudernd inne, und
hatte noch eine Perlenſchnur und ein flohr¬
nes Halstuch übrig, als er ſich entſchloß, mit
den dichteriſchen Verſuchen ſeiner Jugend das
abnehmende Feuer wieder aufzufriſchen.
Bis jetzt hatte er alles ſorgfältig aufge¬
hoben, was ihm, von der frühſten Entwick¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/205>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.