Der Tag wollte nicht endigen, als Wilhelm, seinen Brief schön gefaltet in der Tasche, sich zu Marianen hinsehnte, auch war es kaum düster geworden, als er sich wider seine Ge¬ wohnheit nach ihrer Wohnung hinschlich. Sein Plan war: sich auf die Nacht anzu¬ melden, seine Geliebte auf kurze Zeit wieder zu verlassen, ihr, eh' er wegginge, den Brief in die Hand zu drücken, und bey seiner Rück¬ kehr in tiefer Nacht ihre Antwort, ihre Ein¬ willigung zu erhalten, oder durch die Macht seiner Liebkosungen zu erzwingen. Er flog in ihre Arme, und konnte sich an ihrem Bu¬ sen kaum wieder fassen. Die Lebhaftigkeit seiner Empfindungen verbarg ihm anfangs, daß sie nicht wie sonst mit Herzlichkeit ant¬
Siebzehntes Capitel.
Der Tag wollte nicht endigen, als Wilhelm, ſeinen Brief ſchön gefaltet in der Taſche, ſich zu Marianen hinſehnte, auch war es kaum düſter geworden, als er ſich wider ſeine Ge¬ wohnheit nach ihrer Wohnung hinſchlich. Sein Plan war: ſich auf die Nacht anzu¬ melden, ſeine Geliebte auf kurze Zeit wieder zu verlaſſen, ihr, eh’ er wegginge, den Brief in die Hand zu drücken, und bey ſeiner Rück¬ kehr in tiefer Nacht ihre Antwort, ihre Ein¬ willigung zu erhalten, oder durch die Macht ſeiner Liebkoſungen zu erzwingen. Er flog in ihre Arme, und konnte ſich an ihrem Bu¬ ſen kaum wieder faſſen. Die Lebhaftigkeit ſeiner Empfindungen verbarg ihm anfangs, daß ſie nicht wie ſonſt mit Herzlichkeit ant¬
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Siebzehntes Capitel.
Der Tag wollte nicht endigen, als Wilhelm,
ſeinen Brief ſchön gefaltet in der Taſche, ſich
zu Marianen hinſehnte, auch war es kaum
düſter geworden, als er ſich wider ſeine Ge¬
wohnheit nach ihrer Wohnung hinſchlich.
Sein Plan war: ſich auf die Nacht anzu¬
melden, ſeine Geliebte auf kurze Zeit wieder
zu verlaſſen, ihr, eh’ er wegginge, den Brief
in die Hand zu drücken, und bey ſeiner Rück¬
kehr in tiefer Nacht ihre Antwort, ihre Ein¬
willigung zu erhalten, oder durch die Macht
ſeiner Liebkoſungen zu erzwingen. Er flog
in ihre Arme, und konnte ſich an ihrem Bu¬
ſen kaum wieder faſſen. Die Lebhaftigkeit
ſeiner Empfindungen verbarg ihm anfangs,
daß ſie nicht wie ſonſt mit Herzlichkeit ant¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/170>, abgerufen am 24.11.2024.
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