nen wird, so war auch alles in seinen Augen verschönert und verherrlicht, was sie umgab, was sie berührte.
Wie oft stand er auf dem Theater hin¬ ter den Wänden, wozu er sich das Privile¬ gium von dem Direktor erbeten hatte! Dann war freylich die perspectivische Magie ver¬ schwunden, aber die viel mächtigere Zaube¬ rey der Liebe fing erst an zu wirken. Stun¬ denlang konnte er am schmutzigen Lichtwagen stehen, den Qualm der Unschlitt-Lampen ein¬ ziehen, nach der Geliebten hinaus blicken, und, wenn sie wieder hereintrat und ihn freundlich ansah, sich in Wonne verloren dicht an dem Balken- und Latten-Gerippe, in einen paradiesischen Zustand versetzt füh¬ len. Die ausgestopften Lämmchen, die Was¬ serfälle von Zindel, die pappenen Rosenstöcke und die einseitigen Strohhütten erregten in ihm liebliche dichterische Bilder uralter Schä¬
nen wird, ſo war auch alles in ſeinen Augen verſchönert und verherrlicht, was ſie umgab, was ſie berührte.
Wie oft ſtand er auf dem Theater hin¬ ter den Wänden, wozu er ſich das Privile¬ gium von dem Direktor erbeten hatte! Dann war freylich die perſpectiviſche Magie ver¬ ſchwunden, aber die viel mächtigere Zaube¬ rey der Liebe fing erſt an zu wirken. Stun¬ denlang konnte er am ſchmutzigen Lichtwagen ſtehen, den Qualm der Unſchlitt-Lampen ein¬ ziehen, nach der Geliebten hinaus blicken, und, wenn ſie wieder hereintrat und ihn freundlich anſah, ſich in Wonne verloren dicht an dem Balken- und Latten-Gerippe, in einen paradieſiſchen Zuſtand verſetzt füh¬ len. Die ausgeſtopften Lämmchen, die Waſ¬ ſerfälle von Zindel, die pappenen Roſenſtöcke und die einſeitigen Strohhütten erregten in ihm liebliche dichteriſche Bilder uralter Schä¬
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nen wird, ſo war auch alles in ſeinen Augen
verſchönert und verherrlicht, was ſie umgab,
was ſie berührte.
Wie oft ſtand er auf dem Theater hin¬
ter den Wänden, wozu er ſich das Privile¬
gium von dem Direktor erbeten hatte! Dann
war freylich die perſpectiviſche Magie ver¬
ſchwunden, aber die viel mächtigere Zaube¬
rey der Liebe fing erſt an zu wirken. Stun¬
denlang konnte er am ſchmutzigen Lichtwagen
ſtehen, den Qualm der Unſchlitt-Lampen ein¬
ziehen, nach der Geliebten hinaus blicken,
und, wenn ſie wieder hereintrat und ihn
freundlich anſah, ſich in Wonne verloren
dicht an dem Balken- und Latten-Gerippe,
in einen paradieſiſchen Zuſtand verſetzt füh¬
len. Die ausgeſtopften Lämmchen, die Waſ¬
ſerfälle von Zindel, die pappenen Roſenſtöcke
und die einſeitigen Strohhütten erregten in
ihm liebliche dichteriſche Bilder uralter Schä¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/143>, abgerufen am 24.11.2024.
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