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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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ser, und sogar mein Schreyen erstickte in der
beklemmten Brust. So erzählte der Arme,
indem er sich von seinem Schrecken an mei¬
nem Busen erholte, und sich glücklich pries,
einen fürchterlichen Traum durch die seligste
Wirklichkeit verdrängt zu sehen.

Die Alte suchte so viel möglich durch ihre
Prose die Poesie ihrer Freundin ins Gebiet
des gemeinen Lebens herunter zu locken, und
bediente sich dabey der guten Art, welche
Vogelstellern zu gelingen pflegt, indem sie
durch ein Pfeifchen die Töne derjenigen nach¬
zuahmen suchen, welche sie bald und häufig
in ihrem Garne zu sehen wünschen. Sie
lobte Wilhelmen, rühmte seine Gestalt, seine
Augen, seine Liebe. Das arme Mädchen
hörte ihr gerne zu, stand auf, ließ sich an¬
kleiden, und schien ruhiger. Mein Kind,
mein Liebchen, fuhr die Alte schmeichelnd fort,
ich will dich nicht betrüben, nicht beleidigen,

ſer, und ſogar mein Schreyen erſtickte in der
beklemmten Bruſt. So erzählte der Arme,
indem er ſich von ſeinem Schrecken an mei¬
nem Buſen erholte, und ſich glücklich pries,
einen fürchterlichen Traum durch die ſeligſte
Wirklichkeit verdrängt zu ſehen.

Die Alte ſuchte ſo viel möglich durch ihre
Proſe die Poeſie ihrer Freundin ins Gebiet
des gemeinen Lebens herunter zu locken, und
bediente ſich dabey der guten Art, welche
Vogelſtellern zu gelingen pflegt, indem ſie
durch ein Pfeifchen die Töne derjenigen nach¬
zuahmen ſuchen, welche ſie bald und häufig
in ihrem Garne zu ſehen wünſchen. Sie
lobte Wilhelmen, rühmte ſeine Geſtalt, ſeine
Augen, ſeine Liebe. Das arme Mädchen
hörte ihr gerne zu, ſtand auf, ließ ſich an¬
kleiden, und ſchien ruhiger. Mein Kind,
mein Liebchen, fuhr die Alte ſchmeichelnd fort,
ich will dich nicht betrüben, nicht beleidigen,

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[102/0110] ſer, und ſogar mein Schreyen erſtickte in der beklemmten Bruſt. So erzählte der Arme, indem er ſich von ſeinem Schrecken an mei¬ nem Buſen erholte, und ſich glücklich pries, einen fürchterlichen Traum durch die ſeligſte Wirklichkeit verdrängt zu ſehen. Die Alte ſuchte ſo viel möglich durch ihre Proſe die Poeſie ihrer Freundin ins Gebiet des gemeinen Lebens herunter zu locken, und bediente ſich dabey der guten Art, welche Vogelſtellern zu gelingen pflegt, indem ſie durch ein Pfeifchen die Töne derjenigen nach¬ zuahmen ſuchen, welche ſie bald und häufig in ihrem Garne zu ſehen wünſchen. Sie lobte Wilhelmen, rühmte ſeine Geſtalt, ſeine Augen, ſeine Liebe. Das arme Mädchen hörte ihr gerne zu, ſtand auf, ließ ſich an¬ kleiden, und ſchien ruhiger. Mein Kind, mein Liebchen, fuhr die Alte ſchmeichelnd fort, ich will dich nicht betrüben, nicht beleidigen,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/110>, abgerufen am 24.11.2024.