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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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der Sittlichkeit und Freyheit, zu betragen.
Eine andere Eigenheit der Weltleute hatte er
auch angenommen, nämlich nicht leicht von
Gegenständen zu reden, über die man gerade
ein Gespräch erwartet und wünscht. Von
poetischen und literarischen Dingen hörte man
ihn selten sprechen. Da er aber an mir und
meinen Freunden leidenschaftliche Schlittschuh¬
fahrer fand, so unterhielt er sich mit uns
weitläuftig über diese edle Kunst, die er
gründlich durchgedacht und was dabey zu su¬
chen und zu meiden sey, sich wohl überlegt
hatte. Ehe wir jedoch seiner geneigten Be¬
lehrung theilhaft werden konnten, mußten wir
uns gefallen lassen, über den Ausdruck selbst,
den wir verfehlten, zurecht gewiesen zu wer¬
den. Wir sprachen nämlich auf gut Ober¬
deutsch von Schlittschuhen, welches er durch¬
aus nicht wollte gelten lassen: denn das
Wort komme keinesweges von Schlitten, als
wenn man auf kleinen Kufen dahin führe,
sondern von Schreiten, indem man, den Ho¬

der Sittlichkeit und Freyheit, zu betragen.
Eine andere Eigenheit der Weltleute hatte er
auch angenommen, naͤmlich nicht leicht von
Gegenſtaͤnden zu reden, uͤber die man gerade
ein Geſpraͤch erwartet und wuͤnſcht. Von
poetiſchen und literariſchen Dingen hoͤrte man
ihn ſelten ſprechen. Da er aber an mir und
meinen Freunden leidenſchaftliche Schlittſchuh¬
fahrer fand, ſo unterhielt er ſich mit uns
weitlaͤuftig uͤber dieſe edle Kunſt, die er
gruͤndlich durchgedacht und was dabey zu ſu¬
chen und zu meiden ſey, ſich wohl uͤberlegt
hatte. Ehe wir jedoch ſeiner geneigten Be¬
lehrung theilhaft werden konnten, mußten wir
uns gefallen laſſen, uͤber den Ausdruck ſelbſt,
den wir verfehlten, zurecht gewieſen zu wer¬
den. Wir ſprachen naͤmlich auf gut Ober¬
deutſch von Schlittſchuhen, welches er durch¬
aus nicht wollte gelten laſſen: denn das
Wort komme keinesweges von Schlitten, als
wenn man auf kleinen Kufen dahin fuͤhre,
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[509/0517] der Sittlichkeit und Freyheit, zu betragen. Eine andere Eigenheit der Weltleute hatte er auch angenommen, naͤmlich nicht leicht von Gegenſtaͤnden zu reden, uͤber die man gerade ein Geſpraͤch erwartet und wuͤnſcht. Von poetiſchen und literariſchen Dingen hoͤrte man ihn ſelten ſprechen. Da er aber an mir und meinen Freunden leidenſchaftliche Schlittſchuh¬ fahrer fand, ſo unterhielt er ſich mit uns weitlaͤuftig uͤber dieſe edle Kunſt, die er gruͤndlich durchgedacht und was dabey zu ſu¬ chen und zu meiden ſey, ſich wohl uͤberlegt hatte. Ehe wir jedoch ſeiner geneigten Be¬ lehrung theilhaft werden konnten, mußten wir uns gefallen laſſen, uͤber den Ausdruck ſelbſt, den wir verfehlten, zurecht gewieſen zu wer¬ den. Wir ſprachen naͤmlich auf gut Ober¬ deutſch von Schlittſchuhen, welches er durch¬ aus nicht wollte gelten laſſen: denn das Wort komme keinesweges von Schlitten, als wenn man auf kleinen Kufen dahin fuͤhre, ſondern von Schreiten, indem man, den Ho¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/517>, abgerufen am 25.11.2024.