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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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den Maynzer Aufenthalt und die dortigen
Aeußerungen bezog, und was eigentlich Nie¬
mand als ich wissen sollte. Mir aber bewies
es, daß der Verfasser von denjenigen sey, die
meinen engsten Kreis bildeten und mich jene
Ereignisse und Umstände weitläuftig hatten
erzählen hören. Wir sahen einer den andern
an, und Jeder hatte die übrigen im Ver¬
dacht; der unbekannte Verfasser wußte sich
gut zu verstellen. Ich schalt sehr heftig auf
ihn, weil es mir äußerst verdrießlich war,
nach einer so günstigen Aufnahme und so be¬
deutender Unterhaltung, nach meinem an Wie¬
land geschriebenen zutraulichen Briefe hier
wieder Anlässe zu neuem Mißtrauen und fri¬
sche Unannehmlichkeiten zu sehen. Die Unge¬
wißheit hierüber dauerte jedoch nicht lange:
denn als ich in meiner Stube auf und ab¬
gehend mir das Büchlein laut vorlas, hörte
ich an den Einfällen und Wendungen ganz
deutlich die Stimme Wagners, und er war
es auch. Wie ich nämlich zur Mutter hinun¬

den Maynzer Aufenthalt und die dortigen
Aeußerungen bezog, und was eigentlich Nie¬
mand als ich wiſſen ſollte. Mir aber bewies
es, daß der Verfaſſer von denjenigen ſey, die
meinen engſten Kreis bildeten und mich jene
Ereigniſſe und Umſtaͤnde weitlaͤuftig hatten
erzaͤhlen hoͤren. Wir ſahen einer den andern
an, und Jeder hatte die uͤbrigen im Ver¬
dacht; der unbekannte Verfaſſer wußte ſich
gut zu verſtellen. Ich ſchalt ſehr heftig auf
ihn, weil es mir aͤußerſt verdrießlich war,
nach einer ſo guͤnſtigen Aufnahme und ſo be¬
deutender Unterhaltung, nach meinem an Wie¬
land geſchriebenen zutraulichen Briefe hier
wieder Anlaͤſſe zu neuem Mißtrauen und fri¬
ſche Unannehmlichkeiten zu ſehen. Die Unge¬
wißheit hieruͤber dauerte jedoch nicht lange:
denn als ich in meiner Stube auf und ab¬
gehend mir das Buͤchlein laut vorlas, hoͤrte
ich an den Einfaͤllen und Wendungen ganz
deutlich die Stimme Wagners, und er war
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[505/0513] den Maynzer Aufenthalt und die dortigen Aeußerungen bezog, und was eigentlich Nie¬ mand als ich wiſſen ſollte. Mir aber bewies es, daß der Verfaſſer von denjenigen ſey, die meinen engſten Kreis bildeten und mich jene Ereigniſſe und Umſtaͤnde weitlaͤuftig hatten erzaͤhlen hoͤren. Wir ſahen einer den andern an, und Jeder hatte die uͤbrigen im Ver¬ dacht; der unbekannte Verfaſſer wußte ſich gut zu verſtellen. Ich ſchalt ſehr heftig auf ihn, weil es mir aͤußerſt verdrießlich war, nach einer ſo guͤnſtigen Aufnahme und ſo be¬ deutender Unterhaltung, nach meinem an Wie¬ land geſchriebenen zutraulichen Briefe hier wieder Anlaͤſſe zu neuem Mißtrauen und fri¬ ſche Unannehmlichkeiten zu ſehen. Die Unge¬ wißheit hieruͤber dauerte jedoch nicht lange: denn als ich in meiner Stube auf und ab¬ gehend mir das Buͤchlein laut vorlas, hoͤrte ich an den Einfaͤllen und Wendungen ganz deutlich die Stimme Wagners, und er war es auch. Wie ich naͤmlich zur Mutter hinun¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/513>, abgerufen am 25.11.2024.