Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

gerecht. Hiezu kam noch, daß er sich auch
gegen unsere Abgötter, die Griechen, erklärte
und dadurch unsern bösen Willen gegen ihn
noch schärfte. Es ist genugsam bekannt, daß
die griechischen Götter und Helden nicht auf
moralischen, sondern auf verklärten physischen
Eigenschaften ruhen, weshalb sie auch dem
Künstler so herrliche Gestalten anbieten. Nun
hatte Wieland in der Alceste Helden und
Halbgötter nach moderner Art gebildet; wo¬
gegen denn auch nichts wäre zu sagen gewe¬
sen, weil ja einem Jeden freysteht, die poe¬
tischen Traditionen nach seinen Zwecken und
seiner Denkweise umzuformen. Allein in den
Briefen, die er über gedachte Oper in den
Merkur einrückte, schien er uns diese Be¬
handlungsart allzu parteyisch hervorzuheben
und sich an den trefflichen Alten und ihrem
höhern Stil unverantwortlich zu versündigen,
indem er die derbe gesunde Natur, die jenen
Productionen zum Grunde liegt, keinesweges
anerkennen wollte. Diese Beschwerden hatten

32 *

gerecht. Hiezu kam noch, daß er ſich auch
gegen unſere Abgoͤtter, die Griechen, erklaͤrte
und dadurch unſern boͤſen Willen gegen ihn
noch ſchaͤrfte. Es iſt genugſam bekannt, daß
die griechiſchen Goͤtter und Helden nicht auf
moraliſchen, ſondern auf verklaͤrten phyſiſchen
Eigenſchaften ruhen, weshalb ſie auch dem
Kuͤnſtler ſo herrliche Geſtalten anbieten. Nun
hatte Wieland in der Alceſte Helden und
Halbgoͤtter nach moderner Art gebildet; wo¬
gegen denn auch nichts waͤre zu ſagen gewe¬
ſen, weil ja einem Jeden freyſteht, die poe¬
tiſchen Traditionen nach ſeinen Zwecken und
ſeiner Denkweiſe umzuformen. Allein in den
Briefen, die er uͤber gedachte Oper in den
Merkur einruͤckte, ſchien er uns dieſe Be¬
handlungsart allzu parteyiſch hervorzuheben
und ſich an den trefflichen Alten und ihrem
hoͤhern Stil unverantwortlich zu verſuͤndigen,
indem er die derbe geſunde Natur, die jenen
Productionen zum Grunde liegt, keinesweges
anerkennen wollte. Dieſe Beſchwerden hatten

32 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0507" n="499"/>
gerecht. Hiezu kam noch, daß er &#x017F;ich auch<lb/>
gegen un&#x017F;ere Abgo&#x0364;tter, die Griechen, erkla&#x0364;rte<lb/>
und dadurch un&#x017F;ern bo&#x0364;&#x017F;en Willen gegen ihn<lb/>
noch &#x017F;cha&#x0364;rfte. Es i&#x017F;t genug&#x017F;am bekannt, daß<lb/>
die griechi&#x017F;chen Go&#x0364;tter und Helden nicht auf<lb/>
morali&#x017F;chen, &#x017F;ondern auf verkla&#x0364;rten phy&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Eigen&#x017F;chaften ruhen, weshalb &#x017F;ie auch dem<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler &#x017F;o herrliche Ge&#x017F;talten anbieten. Nun<lb/>
hatte Wieland in der <hi rendition="#g">Alce&#x017F;te</hi> Helden und<lb/>
Halbgo&#x0364;tter nach moderner Art gebildet; wo¬<lb/>
gegen denn auch nichts wa&#x0364;re zu &#x017F;agen gewe¬<lb/>
&#x017F;en, weil ja einem Jeden frey&#x017F;teht, die poe¬<lb/>
ti&#x017F;chen Traditionen nach &#x017F;einen Zwecken und<lb/>
&#x017F;einer Denkwei&#x017F;e umzuformen. Allein in den<lb/>
Briefen, die er u&#x0364;ber gedachte Oper in den<lb/>
Merkur einru&#x0364;ckte, &#x017F;chien er uns die&#x017F;e Be¬<lb/>
handlungsart allzu parteyi&#x017F;ch hervorzuheben<lb/>
und &#x017F;ich an den trefflichen Alten und ihrem<lb/>
ho&#x0364;hern Stil unverantwortlich zu ver&#x017F;u&#x0364;ndigen,<lb/>
indem er die derbe ge&#x017F;unde Natur, die jenen<lb/>
Productionen zum Grunde liegt, keinesweges<lb/>
anerkennen wollte. Die&#x017F;e Be&#x017F;chwerden hatten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">32 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[499/0507] gerecht. Hiezu kam noch, daß er ſich auch gegen unſere Abgoͤtter, die Griechen, erklaͤrte und dadurch unſern boͤſen Willen gegen ihn noch ſchaͤrfte. Es iſt genugſam bekannt, daß die griechiſchen Goͤtter und Helden nicht auf moraliſchen, ſondern auf verklaͤrten phyſiſchen Eigenſchaften ruhen, weshalb ſie auch dem Kuͤnſtler ſo herrliche Geſtalten anbieten. Nun hatte Wieland in der Alceſte Helden und Halbgoͤtter nach moderner Art gebildet; wo¬ gegen denn auch nichts waͤre zu ſagen gewe¬ ſen, weil ja einem Jeden freyſteht, die poe¬ tiſchen Traditionen nach ſeinen Zwecken und ſeiner Denkweiſe umzuformen. Allein in den Briefen, die er uͤber gedachte Oper in den Merkur einruͤckte, ſchien er uns dieſe Be¬ handlungsart allzu parteyiſch hervorzuheben und ſich an den trefflichen Alten und ihrem hoͤhern Stil unverantwortlich zu verſuͤndigen, indem er die derbe geſunde Natur, die jenen Productionen zum Grunde liegt, keinesweges anerkennen wollte. Dieſe Beſchwerden hatten 32 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/507
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/507>, abgerufen am 24.11.2024.