nisse, die ihnen selbst unbewußt, in einer sonst höchst aufgeklärten Gesellschaft schlum¬ merten. Der Riß war so gewaltsam, daß wir darüber, bey eintretenden Zufälligkeiten, einen unserer würdigsten Männer, Mendels¬ sohn, verloren.
Ob man nun wohl, wie auch geschehn, bey diesem Gegenstande philosophische, ja re¬ ligiöse Betrachtungen anstellen kann, so ge¬ hört er doch ganz eigentlich der Poesie. Die Titanen sind die Folie des Polytheismus, so wie man als Folie des Monotheismus den Teufel betrachten kann; doch ist dieser so wie der einzige Gott, dem er entgegensteht, keine poetische Figur. Der Satan Milton's, brav genug gezeichnet, bleibt immer in dem Nach¬ theil der Subalternität, indem er die herr¬ liche Schöpfung eines oberen Wesens zu zer¬ stören sucht, Prometheus hingegen im Vor¬ theil, der, zum Trutz höherer Wesen, zu schaffen und zu bilden vermag. Auch ist es
niſſe, die ihnen ſelbſt unbewußt, in einer ſonſt hoͤchſt aufgeklaͤrten Geſellſchaft ſchlum¬ merten. Der Riß war ſo gewaltſam, daß wir daruͤber, bey eintretenden Zufaͤlligkeiten, einen unſerer wuͤrdigſten Maͤnner, Mendels¬ ſohn, verloren.
Ob man nun wohl, wie auch geſchehn, bey dieſem Gegenſtande philoſophiſche, ja re¬ ligioͤſe Betrachtungen anſtellen kann, ſo ge¬ hoͤrt er doch ganz eigentlich der Poeſie. Die Titanen ſind die Folie des Polytheïsmus, ſo wie man als Folie des Monotheïsmus den Teufel betrachten kann; doch iſt dieſer ſo wie der einzige Gott, dem er entgegenſteht, keine poetiſche Figur. Der Satan Milton's, brav genug gezeichnet, bleibt immer in dem Nach¬ theil der Subalternitaͤt, indem er die herr¬ liche Schoͤpfung eines oberen Weſens zu zer¬ ſtoͤren ſucht, Prometheus hingegen im Vor¬ theil, der, zum Trutz hoͤherer Weſen, zu ſchaffen und zu bilden vermag. Auch iſt es
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niſſe, die ihnen ſelbſt unbewußt, in einer
ſonſt hoͤchſt aufgeklaͤrten Geſellſchaft ſchlum¬
merten. Der Riß war ſo gewaltſam, daß
wir daruͤber, bey eintretenden Zufaͤlligkeiten,
einen unſerer wuͤrdigſten Maͤnner, Mendels¬
ſohn, verloren.
Ob man nun wohl, wie auch geſchehn,
bey dieſem Gegenſtande philoſophiſche, ja re¬
ligioͤſe Betrachtungen anſtellen kann, ſo ge¬
hoͤrt er doch ganz eigentlich der Poeſie. Die
Titanen ſind die Folie des Polytheïsmus, ſo
wie man als Folie des Monotheïsmus den
Teufel betrachten kann; doch iſt dieſer ſo wie
der einzige Gott, dem er entgegenſteht, keine
poetiſche Figur. Der Satan Milton's, brav
genug gezeichnet, bleibt immer in dem Nach¬
theil der Subalternitaͤt, indem er die herr¬
liche Schoͤpfung eines oberen Weſens zu zer¬
ſtoͤren ſucht, Prometheus hingegen im Vor¬
theil, der, zum Trutz hoͤherer Weſen, zu
ſchaffen und zu bilden vermag. Auch iſt es
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/486>, abgerufen am 23.11.2024.
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