Die Fabel des Prometheus ward in mir lebendig. Das alte Titanengewand schnitt ich mir nach meinem Wuchse zu, und fing, ohne weiter nachgedacht zu haben, ein Stück zu schreiben an, worin das Misverhältniß dargestellt ist, in welches Prometheus zu dem Zeus und den neuen Göttern geräth, indem er auf eigne Hand Menschen bildet, sie durch Gunst der Minerva belebt, und eine dritte Dynastie stiftet. Und wirklich hatten die jetzt regierenden Götter sich zu beschweren völlig Ursache, weil man sie als unrechtmäßig zwi¬ schen die Titanen und Menschen eingeschobene Wesen betrachten konnte. Zu dieser seltsamen Composition gehört als Monolog jenes Ge¬ dicht, das in der deutschen Literatur bedeu¬ tend geworden, weil dadurch veranlaßt, Les¬ sing über wichtige Puncte des Denkens und Empfindens sich gegen Jacobi erklärte. Es diente zum Zündkraut einer Explosion, welche die geheimsten Verhältnisse würdiger Männer aufdeckte und zur Sprache brachte: Verhält¬
Die Fabel des Prometheus ward in mir lebendig. Das alte Titanengewand ſchnitt ich mir nach meinem Wuchſe zu, und fing, ohne weiter nachgedacht zu haben, ein Stuͤck zu ſchreiben an, worin das Misverhaͤltniß dargeſtellt iſt, in welches Prometheus zu dem Zeus und den neuen Goͤttern geraͤth, indem er auf eigne Hand Menſchen bildet, ſie durch Gunſt der Minerva belebt, und eine dritte Dynaſtie ſtiftet. Und wirklich hatten die jetzt regierenden Goͤtter ſich zu beſchweren voͤllig Urſache, weil man ſie als unrechtmaͤßig zwi¬ ſchen die Titanen und Menſchen eingeſchobene Weſen betrachten konnte. Zu dieſer ſeltſamen Compoſition gehoͤrt als Monolog jenes Ge¬ dicht, das in der deutſchen Literatur bedeu¬ tend geworden, weil dadurch veranlaßt, Leſ¬ ſing uͤber wichtige Puncte des Denkens und Empfindens ſich gegen Jacobi erklaͤrte. Es diente zum Zuͤndkraut einer Exploſion, welche die geheimſten Verhaͤltniſſe wuͤrdiger Maͤnner aufdeckte und zur Sprache brachte: Verhaͤlt¬
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Die Fabel des Prometheus ward in mir
lebendig. Das alte Titanengewand ſchnitt
ich mir nach meinem Wuchſe zu, und fing,
ohne weiter nachgedacht zu haben, ein Stuͤck
zu ſchreiben an, worin das Misverhaͤltniß
dargeſtellt iſt, in welches Prometheus zu dem
Zeus und den neuen Goͤttern geraͤth, indem
er auf eigne Hand Menſchen bildet, ſie durch
Gunſt der Minerva belebt, und eine dritte
Dynaſtie ſtiftet. Und wirklich hatten die jetzt
regierenden Goͤtter ſich zu beſchweren voͤllig
Urſache, weil man ſie als unrechtmaͤßig zwi¬
ſchen die Titanen und Menſchen eingeſchobene
Weſen betrachten konnte. Zu dieſer ſeltſamen
Compoſition gehoͤrt als Monolog jenes Ge¬
dicht, das in der deutſchen Literatur bedeu¬
tend geworden, weil dadurch veranlaßt, Leſ¬
ſing uͤber wichtige Puncte des Denkens und
Empfindens ſich gegen Jacobi erklaͤrte. Es
diente zum Zuͤndkraut einer Exploſion, welche
die geheimſten Verhaͤltniſſe wuͤrdiger Maͤnner
aufdeckte und zur Sprache brachte: Verhaͤlt¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/485>, abgerufen am 23.11.2024.
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