ihrige dagegen vernahm, so wurde der Ge¬ danke rege, daß freylich der vorzügliche Mensch das Göttliche was in ihm ist, auch außer sich verbreiten möchte. Dann aber trifft er auf die rohe Welt, und um auf sie zu wir¬ ken, muß er sich ihr gleichstellen; hierdurch aber vergiebt er jenen hohen Vorzügen gar sehr, und am Ende begiebt er sich ihrer gänzlich. Das Himmlische, Ewige wird in den Körper irdischer Absichten eingesenkt und zu vergänglichen Schicksalen mit fortgerissen. Nun betrachtete ich den Lebensgang beyder Männer aus diesem Gesichtspunct, und sie schienen mir eben so ehrwürdig als bedauerns¬ werth: denn ich glaubte vorauszusehn, daß beyde sich genöthigt finden könnten, das Obere dem Unteren aufzuopfern. Weil ich nun aber alle Betrachtungen dieser Art bis aufs Aeu¬ ßerste verfolgte, und über meine enge Erfah¬ rung hinaus, nach ähnlichen Fällen in der Geschichte mich umsah; so entwickelte sich bey
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ihrige dagegen vernahm, ſo wurde der Ge¬ danke rege, daß freylich der vorzuͤgliche Menſch das Goͤttliche was in ihm iſt, auch außer ſich verbreiten moͤchte. Dann aber trifft er auf die rohe Welt, und um auf ſie zu wir¬ ken, muß er ſich ihr gleichſtellen; hierdurch aber vergiebt er jenen hohen Vorzuͤgen gar ſehr, und am Ende begiebt er ſich ihrer gaͤnzlich. Das Himmliſche, Ewige wird in den Koͤrper irdiſcher Abſichten eingeſenkt und zu vergaͤnglichen Schickſalen mit fortgeriſſen. Nun betrachtete ich den Lebensgang beyder Maͤnner aus dieſem Geſichtspunct, und ſie ſchienen mir eben ſo ehrwuͤrdig als bedauerns¬ werth: denn ich glaubte vorauszuſehn, daß beyde ſich genoͤthigt finden koͤnnten, das Obere dem Unteren aufzuopfern. Weil ich nun aber alle Betrachtungen dieſer Art bis aufs Aeu¬ ßerſte verfolgte, und uͤber meine enge Erfah¬ rung hinaus, nach aͤhnlichen Faͤllen in der Geſchichte mich umſah; ſo entwickelte ſich bey
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ihrige dagegen vernahm, ſo wurde der Ge¬
danke rege, daß freylich der vorzuͤgliche Menſch
das Goͤttliche was in ihm iſt, auch außer
ſich verbreiten moͤchte. Dann aber trifft er
auf die rohe Welt, und um auf ſie zu wir¬
ken, muß er ſich ihr gleichſtellen; hierdurch
aber vergiebt er jenen hohen Vorzuͤgen gar
ſehr, und am Ende begiebt er ſich ihrer
gaͤnzlich. Das Himmliſche, Ewige wird in
den Koͤrper irdiſcher Abſichten eingeſenkt und
zu vergaͤnglichen Schickſalen mit fortgeriſſen.
Nun betrachtete ich den Lebensgang beyder
Maͤnner aus dieſem Geſichtspunct, und ſie
ſchienen mir eben ſo ehrwuͤrdig als bedauerns¬
werth: denn ich glaubte vorauszuſehn, daß
beyde ſich genoͤthigt finden koͤnnten, das Obere
dem Unteren aufzuopfern. Weil ich nun aber
alle Betrachtungen dieſer Art bis aufs Aeu¬
ßerſte verfolgte, und uͤber meine enge Erfah¬
rung hinaus, nach aͤhnlichen Faͤllen in der
Geſchichte mich umſah; ſo entwickelte ſich bey
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/459>, abgerufen am 23.11.2024.
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