ergriffen hatte, sich nur vermehrte; allein es war so viel unter uns zur Sprache gekom¬ men, daß in mir die größte Sehnsucht ent¬ stand, diese Unterhaltung fortzusetzen. Da¬ her entschloß ich mich, ihn, wenn er nach Ems gehen würde, zu begleiten, um unter¬ wegs, im Wagen eingeschlossen und von der Welt abgesondert, diejenigen Gegenstände, die uns wechselseitig am Herzen lagen, frey abzuhandeln.
Sehr merkwürdig und folgereich waren mir indessen die Unterhaltungen Lavaters und der Fräulein von Klettenberg. Hier standen nun zwey entschiedene Christen gegen einander über, und es war ganz deutlich zu sehen, wie sich eben dasselbe Bekenntniß nach den Gesinnungen verschiedener Personen umbildet. Man wiederholte so oft in jenen toleranten Zeiten, jeder Mensch habe seine eigne Reli¬ gion, seine eigne Art der Gottesverehrung. Ob ich nun gleich dieß nicht geradezu behaup¬
ergriffen hatte, ſich nur vermehrte; allein es war ſo viel unter uns zur Sprache gekom¬ men, daß in mir die groͤßte Sehnſucht ent¬ ſtand, dieſe Unterhaltung fortzuſetzen. Da¬ her entſchloß ich mich, ihn, wenn er nach Ems gehen wuͤrde, zu begleiten, um unter¬ wegs, im Wagen eingeſchloſſen und von der Welt abgeſondert, diejenigen Gegenſtaͤnde, die uns wechſelſeitig am Herzen lagen, frey abzuhandeln.
Sehr merkwuͤrdig und folgereich waren mir indeſſen die Unterhaltungen Lavaters und der Fraͤulein von Klettenberg. Hier ſtanden nun zwey entſchiedene Chriſten gegen einander uͤber, und es war ganz deutlich zu ſehen, wie ſich eben daſſelbe Bekenntniß nach den Geſinnungen verſchiedener Perſonen umbildet. Man wiederholte ſo oft in jenen toleranten Zeiten, jeder Menſch habe ſeine eigne Reli¬ gion, ſeine eigne Art der Gottesverehrung. Ob ich nun gleich dieß nicht geradezu behaup¬
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ergriffen hatte, ſich nur vermehrte; allein es
war ſo viel unter uns zur Sprache gekom¬
men, daß in mir die groͤßte Sehnſucht ent¬
ſtand, dieſe Unterhaltung fortzuſetzen. Da¬
her entſchloß ich mich, ihn, wenn er nach
Ems gehen wuͤrde, zu begleiten, um unter¬
wegs, im Wagen eingeſchloſſen und von der
Welt abgeſondert, diejenigen Gegenſtaͤnde,
die uns wechſelſeitig am Herzen lagen, frey
abzuhandeln.
Sehr merkwuͤrdig und folgereich waren
mir indeſſen die Unterhaltungen Lavaters und
der Fraͤulein von Klettenberg. Hier ſtanden
nun zwey entſchiedene Chriſten gegen einander
uͤber, und es war ganz deutlich zu ſehen,
wie ſich eben daſſelbe Bekenntniß nach den
Geſinnungen verſchiedener Perſonen umbildet.
Man wiederholte ſo oft in jenen toleranten
Zeiten, jeder Menſch habe ſeine eigne Reli¬
gion, ſeine eigne Art der Gottesverehrung.
Ob ich nun gleich dieß nicht geradezu behaup¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/417>, abgerufen am 24.11.2024.
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