Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Lavater sich hinneigte, nicht den mindesten
Begriff. Aergerlich war mir daher die hef¬
tige Zudringlichkeit eines so geist- als herz¬
vollen Mannes, mit der er auf mich so wie
auf Mendelssohn und andere losging, und
behauptete, man müsse entweder mit ihm ein
Christ, ein Christ nach seiner Art werden,
oder man müsse ihn zu sich hinüberziehn,
man müsse ihn gleichfalls von demjenigen über¬
zeugen, worin man seine Beruhigung finde.
Diese Forderung, so unmittelbar dem libera¬
len Weltsinn, zu dem ich mich nach und nach
auch bekannte, entgegen stehend, that auf
mich nicht die beste Wirkung. Alle Bekeh¬
rungsversuche, wenn sie nicht gelingen, ma¬
chen denjenigen, den man zum Proselyten
ausersah, starr und verstockt, und dieses war
um so mehr mein Fall, als Lavater zuletzt mit
dem harten Dilemma hervortrat: "Entweder
Christ, oder Atheist!" Ich erklärte darauf,
daß wenn er mir mein Christenthum nicht
lassen wollte, wie ich es bisher gehegt hätte,

Lavater ſich hinneigte, nicht den mindeſten
Begriff. Aergerlich war mir daher die hef¬
tige Zudringlichkeit eines ſo geiſt- als herz¬
vollen Mannes, mit der er auf mich ſo wie
auf Mendelsſohn und andere losging, und
behauptete, man muͤſſe entweder mit ihm ein
Chriſt, ein Chriſt nach ſeiner Art werden,
oder man muͤſſe ihn zu ſich hinuͤberziehn,
man muͤſſe ihn gleichfalls von demjenigen uͤber¬
zeugen, worin man ſeine Beruhigung finde.
Dieſe Forderung, ſo unmittelbar dem libera¬
len Weltſinn, zu dem ich mich nach und nach
auch bekannte, entgegen ſtehend, that auf
mich nicht die beſte Wirkung. Alle Bekeh¬
rungsverſuche, wenn ſie nicht gelingen, ma¬
chen denjenigen, den man zum Proſelyten
auserſah, ſtarr und verſtockt, und dieſes war
um ſo mehr mein Fall, als Lavater zuletzt mit
dem harten Dilemma hervortrat: „Entweder
Chriſt, oder Atheiſt!“ Ich erklaͤrte darauf,
daß wenn er mir mein Chriſtenthum nicht
laſſen wollte, wie ich es bisher gehegt haͤtte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0403" n="395"/>
Lavater &#x017F;ich hinneigte, nicht den minde&#x017F;ten<lb/>
Begriff. Aergerlich war mir daher die hef¬<lb/>
tige Zudringlichkeit eines &#x017F;o gei&#x017F;t- als herz¬<lb/>
vollen Mannes, mit der er auf mich &#x017F;o wie<lb/>
auf Mendels&#x017F;ohn und andere losging, und<lb/>
behauptete, man mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e entweder mit ihm ein<lb/>
Chri&#x017F;t, ein Chri&#x017F;t nach &#x017F;einer Art werden,<lb/>
oder man mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ihn zu &#x017F;ich hinu&#x0364;berziehn,<lb/>
man mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ihn gleichfalls von demjenigen u&#x0364;ber¬<lb/>
zeugen, worin man &#x017F;eine Beruhigung finde.<lb/>
Die&#x017F;e Forderung, &#x017F;o unmittelbar dem libera¬<lb/>
len Welt&#x017F;inn, zu dem ich mich nach und nach<lb/>
auch bekannte, entgegen &#x017F;tehend, that auf<lb/>
mich nicht die be&#x017F;te Wirkung. Alle Bekeh¬<lb/>
rungsver&#x017F;uche, wenn &#x017F;ie nicht gelingen, ma¬<lb/>
chen denjenigen, den man zum Pro&#x017F;elyten<lb/>
auser&#x017F;ah, &#x017F;tarr und ver&#x017F;tockt, und die&#x017F;es war<lb/>
um &#x017F;o mehr mein Fall, als Lavater zuletzt mit<lb/>
dem harten Dilemma hervortrat: &#x201E;Entweder<lb/>
Chri&#x017F;t, oder Athei&#x017F;t!&#x201C; Ich erkla&#x0364;rte darauf,<lb/>
daß wenn er mir mein Chri&#x017F;tenthum nicht<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en wollte, wie ich es bisher gehegt ha&#x0364;tte,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0403] Lavater ſich hinneigte, nicht den mindeſten Begriff. Aergerlich war mir daher die hef¬ tige Zudringlichkeit eines ſo geiſt- als herz¬ vollen Mannes, mit der er auf mich ſo wie auf Mendelsſohn und andere losging, und behauptete, man muͤſſe entweder mit ihm ein Chriſt, ein Chriſt nach ſeiner Art werden, oder man muͤſſe ihn zu ſich hinuͤberziehn, man muͤſſe ihn gleichfalls von demjenigen uͤber¬ zeugen, worin man ſeine Beruhigung finde. Dieſe Forderung, ſo unmittelbar dem libera¬ len Weltſinn, zu dem ich mich nach und nach auch bekannte, entgegen ſtehend, that auf mich nicht die beſte Wirkung. Alle Bekeh¬ rungsverſuche, wenn ſie nicht gelingen, ma¬ chen denjenigen, den man zum Proſelyten auserſah, ſtarr und verſtockt, und dieſes war um ſo mehr mein Fall, als Lavater zuletzt mit dem harten Dilemma hervortrat: „Entweder Chriſt, oder Atheiſt!“ Ich erklaͤrte darauf, daß wenn er mir mein Chriſtenthum nicht laſſen wollte, wie ich es bisher gehegt haͤtte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/403
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/403>, abgerufen am 24.11.2024.