und gerade diese Talente sind am schwersten zu beurtheilen. Man konnte in seinen Ar¬ beiten große Züge nicht verkennen; eine lieb¬ liche Zärtlichkeit schleicht sich durch zwischen den albernsten und barockesten Fratzen, die man selbst einem so gründlichen und anspruch¬ losen Humor, einer wahrhaft komischen Gabe kaum verzeihen kann. Seine Tage waren aus lauter Nichts zusammengesetzt, dem er durch seine Rührigkeit eine Bedeutung zu geben wußte, und er konnte um so mehr viele Stunden verschlendern, als die Zeit die er zum Lesen anwendete, ihm, bey einem glück¬ lichen Gedächtniß, immer viel Frucht brachte, und seine originelle Denkweise mit mannigfal¬ tigem Stoff bereicherte.
Man hatte ihn mit liefländischen Cavalie¬ ren nach Straßburg gesendet, und einen Mentor nicht leicht unglücklicher wählen können. Der ältere Baron ging für einige Zeit ins Vaterland zurück, und hinterließ eine Ge¬
und gerade dieſe Talente ſind am ſchwerſten zu beurtheilen. Man konnte in ſeinen Ar¬ beiten große Zuͤge nicht verkennen; eine lieb¬ liche Zaͤrtlichkeit ſchleicht ſich durch zwiſchen den albernſten und barockeſten Fratzen, die man ſelbſt einem ſo gruͤndlichen und anſpruch¬ loſen Humor, einer wahrhaft komiſchen Gabe kaum verzeihen kann. Seine Tage waren aus lauter Nichts zuſammengeſetzt, dem er durch ſeine Ruͤhrigkeit eine Bedeutung zu geben wußte, und er konnte um ſo mehr viele Stunden verſchlendern, als die Zeit die er zum Leſen anwendete, ihm, bey einem gluͤck¬ lichen Gedaͤchtniß, immer viel Frucht brachte, und ſeine originelle Denkweiſe mit mannigfal¬ tigem Stoff bereicherte.
Man hatte ihn mit lieflaͤndiſchen Cavalie¬ ren nach Straßburg geſendet, und einen Mentor nicht leicht ungluͤcklicher waͤhlen koͤnnen. Der aͤltere Baron ging fuͤr einige Zeit ins Vaterland zuruͤck, und hinterließ eine Ge¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0385"n="377"/>
und gerade dieſe Talente ſind am ſchwerſten<lb/>
zu beurtheilen. Man konnte in ſeinen Ar¬<lb/>
beiten große Zuͤge nicht verkennen; eine lieb¬<lb/>
liche Zaͤrtlichkeit ſchleicht ſich durch zwiſchen<lb/>
den albernſten und barockeſten Fratzen, die<lb/>
man ſelbſt einem ſo gruͤndlichen und anſpruch¬<lb/>
loſen Humor, einer wahrhaft komiſchen Gabe<lb/>
kaum verzeihen kann. Seine Tage waren aus<lb/>
lauter Nichts zuſammengeſetzt, dem er durch<lb/>ſeine Ruͤhrigkeit eine Bedeutung zu geben<lb/>
wußte, und er konnte um ſo mehr viele<lb/>
Stunden verſchlendern, als die Zeit die er<lb/>
zum Leſen anwendete, ihm, bey einem gluͤck¬<lb/>
lichen Gedaͤchtniß, immer viel Frucht brachte,<lb/>
und ſeine originelle Denkweiſe mit mannigfal¬<lb/>
tigem Stoff bereicherte.</p><lb/><p>Man hatte ihn mit lieflaͤndiſchen Cavalie¬<lb/>
ren nach Straßburg geſendet, und einen<lb/>
Mentor nicht leicht ungluͤcklicher waͤhlen koͤnnen.<lb/>
Der aͤltere Baron ging fuͤr einige Zeit ins<lb/>
Vaterland zuruͤck, und hinterließ eine Ge¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[377/0385]
und gerade dieſe Talente ſind am ſchwerſten
zu beurtheilen. Man konnte in ſeinen Ar¬
beiten große Zuͤge nicht verkennen; eine lieb¬
liche Zaͤrtlichkeit ſchleicht ſich durch zwiſchen
den albernſten und barockeſten Fratzen, die
man ſelbſt einem ſo gruͤndlichen und anſpruch¬
loſen Humor, einer wahrhaft komiſchen Gabe
kaum verzeihen kann. Seine Tage waren aus
lauter Nichts zuſammengeſetzt, dem er durch
ſeine Ruͤhrigkeit eine Bedeutung zu geben
wußte, und er konnte um ſo mehr viele
Stunden verſchlendern, als die Zeit die er
zum Leſen anwendete, ihm, bey einem gluͤck¬
lichen Gedaͤchtniß, immer viel Frucht brachte,
und ſeine originelle Denkweiſe mit mannigfal¬
tigem Stoff bereicherte.
Man hatte ihn mit lieflaͤndiſchen Cavalie¬
ren nach Straßburg geſendet, und einen
Mentor nicht leicht ungluͤcklicher waͤhlen koͤnnen.
Der aͤltere Baron ging fuͤr einige Zeit ins
Vaterland zuruͤck, und hinterließ eine Ge¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/385>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.