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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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ohne ihm ein Beyfallszeichen abzulocken, griff
ich mich noch pathetischer an, und wie ward
mir zu Muthe, als er mich, da ich eine
Pause machte, mit einem: Nun ja! es ist
ganz hübsch, auf das schrecklichste niederschlug,
und sich, ohne etwas weiter hinzuzufügen,
entfernte. Ich war ganz außer mir: denn
wie ich wohl Freude an meinen Sachen,
aber in der ersten Zeit kein Urtheil über sie
hatte, so glaubte ich ganz sicher, ich habe
mich im Sujet, im Ton, im Stil, die denn
freylich alle bedenklich waren, vergriffen, und
etwas ganz Unzulässiges verfertigt. Wäre ein
Caminfeuer zur Hand gewesen, ich hätte das
Werk sogleich hineingeworfen; aber ich er¬
mannte mich wieder und verbrachte schmerzli¬
che Tage, bis er mir endlich vertraute, daß
er in jenem Moment sich in der schrecklichsten
Lage befunden, in die ein Mensch gerathen
kann. Er habe deswegen nichts gesehn
noch gehört, und wisse gar nicht wovon in
meinem Manuscripte die Rede sey. Die

ohne ihm ein Beyfallszeichen abzulocken, griff
ich mich noch pathetiſcher an, und wie ward
mir zu Muthe, als er mich, da ich eine
Pauſe machte, mit einem: Nun ja! es iſt
ganz huͤbſch, auf das ſchrecklichſte niederſchlug,
und ſich, ohne etwas weiter hinzuzufuͤgen,
entfernte. Ich war ganz außer mir: denn
wie ich wohl Freude an meinen Sachen,
aber in der erſten Zeit kein Urtheil uͤber ſie
hatte, ſo glaubte ich ganz ſicher, ich habe
mich im Sujet, im Ton, im Stil, die denn
freylich alle bedenklich waren, vergriffen, und
etwas ganz Unzulaͤſſiges verfertigt. Waͤre ein
Caminfeuer zur Hand geweſen, ich haͤtte das
Werk ſogleich hineingeworfen; aber ich er¬
mannte mich wieder und verbrachte ſchmerzli¬
che Tage, bis er mir endlich vertraute, daß
er in jenem Moment ſich in der ſchrecklichſten
Lage befunden, in die ein Menſch gerathen
kann. Er habe deswegen nichts geſehn
noch gehoͤrt, und wiſſe gar nicht wovon in
meinem Manuſcripte die Rede ſey. Die

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[347/0355] ohne ihm ein Beyfallszeichen abzulocken, griff ich mich noch pathetiſcher an, und wie ward mir zu Muthe, als er mich, da ich eine Pauſe machte, mit einem: Nun ja! es iſt ganz huͤbſch, auf das ſchrecklichſte niederſchlug, und ſich, ohne etwas weiter hinzuzufuͤgen, entfernte. Ich war ganz außer mir: denn wie ich wohl Freude an meinen Sachen, aber in der erſten Zeit kein Urtheil uͤber ſie hatte, ſo glaubte ich ganz ſicher, ich habe mich im Sujet, im Ton, im Stil, die denn freylich alle bedenklich waren, vergriffen, und etwas ganz Unzulaͤſſiges verfertigt. Waͤre ein Caminfeuer zur Hand geweſen, ich haͤtte das Werk ſogleich hineingeworfen; aber ich er¬ mannte mich wieder und verbrachte ſchmerzli¬ che Tage, bis er mir endlich vertraute, daß er in jenem Moment ſich in der ſchrecklichſten Lage befunden, in die ein Menſch gerathen kann. Er habe deswegen nichts geſehn noch gehoͤrt, und wiſſe gar nicht wovon in meinem Manuſcripte die Rede ſey. Die

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/355>, abgerufen am 28.11.2024.