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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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auf einem Dorfkirchhofe lagert, und je¬
ne bekannten Melodieen wieder anstimmt, so
kann er versichert seyn, eine Anzahl Freunde
der Melancholie um sich zu versammeln. Mil¬
ton's Allegro
muß erst in heftigen Versen
den Unmuth verscheuchen, ehe er zu einer sehr
mäßigen Lust gelangen kann, und selbst der
heitere Goldsmith verliert sich in elegische
Empfindungen, wenn uns sein Deserted Vil¬
lage
ein verlorenes Paradies, das sein Tra¬
veller
auf der ganzen Erde wiedersucht, so
lieblich als traurig darstellt.

Ich zweifle nicht, daß man mir auch
muntre Werke, heitere Gedichte werde vor¬
zeigen und entgegensetzen können; allein die
meisten und besten derselben gehören gewiß in
die ältere Epoche, und die neueren die man
dahin rechnen könnte, neigen sich gleichfalls
gegen die Satyre, sind bitter und besonders
die Frauen verachtend.

auf einem Dorfkirchhofe lagert, und je¬
ne bekannten Melodieen wieder anſtimmt, ſo
kann er verſichert ſeyn, eine Anzahl Freunde
der Melancholie um ſich zu verſammeln. Mil¬
ton's Allegro
muß erſt in heftigen Verſen
den Unmuth verſcheuchen, ehe er zu einer ſehr
maͤßigen Luſt gelangen kann, und ſelbſt der
heitere Goldſmith verliert ſich in elegiſche
Empfindungen, wenn uns ſein Deserted Vil¬
lage
ein verlorenes Paradies, das ſein Tra¬
veller
auf der ganzen Erde wiederſucht, ſo
lieblich als traurig darſtellt.

Ich zweifle nicht, daß man mir auch
muntre Werke, heitere Gedichte werde vor¬
zeigen und entgegenſetzen koͤnnen; allein die
meiſten und beſten derſelben gehoͤren gewiß in
die aͤltere Epoche, und die neueren die man
dahin rechnen koͤnnte, neigen ſich gleichfalls
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[330/0338] auf einem Dorfkirchhofe lagert, und je¬ ne bekannten Melodieen wieder anſtimmt, ſo kann er verſichert ſeyn, eine Anzahl Freunde der Melancholie um ſich zu verſammeln. Mil¬ ton's Allegro muß erſt in heftigen Verſen den Unmuth verſcheuchen, ehe er zu einer ſehr maͤßigen Luſt gelangen kann, und ſelbſt der heitere Goldſmith verliert ſich in elegiſche Empfindungen, wenn uns ſein Deserted Vil¬ lage ein verlorenes Paradies, das ſein Tra¬ veller auf der ganzen Erde wiederſucht, ſo lieblich als traurig darſtellt. Ich zweifle nicht, daß man mir auch muntre Werke, heitere Gedichte werde vor¬ zeigen und entgegenſetzen koͤnnen; allein die meiſten und beſten derſelben gehoͤren gewiß in die aͤltere Epoche, und die neueren die man dahin rechnen koͤnnte, neigen ſich gleichfalls gegen die Satyre, ſind bitter und beſonders die Frauen verachtend.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/338>, abgerufen am 23.11.2024.