Solche düstere Betrachtungen jedoch, wel¬ che denjenigen, der sich ihnen überläßt, ins Unendliche führen, hätten sich in den Gemü¬ thern deutscher Jünglinge nicht so entschieden entwickeln können, hätte sie nicht eine äußere Veranlassung zu diesem traurigen Geschäft an¬ geregt und gefördert. Es geschah dieses durch die englische Literatur, besonders durch die poetische, deren große Vorzüge ein ernster Trübsinn begleitet, welchen sie einem Jeden mittheilt, der sich mit ihr beschäftigt. Der geistreiche Britte sieht sich von Jugend auf von einer bedeutenden Welt umgeben, die alle seine Kräfte anregt; er wird früher oder später ge¬ wahr, daß er allen seinen Verstand zusammen¬ nehmen muß, um sich mit ihr abzufinden. Wie viele ihrer Dichter haben nicht in der Jugend ein loses und rauschendes Leben ge¬ führt, und sich früh berechtigt gefunden, die irdischen Dinge der Eitelkeit anzuklagen! Wie viele derselben haben sich in den Weltgeschäften versucht, und im Parlament, bey Hofe, im
Solche duͤſtere Betrachtungen jedoch, wel¬ che denjenigen, der ſich ihnen uͤberlaͤßt, ins Unendliche fuͤhren, haͤtten ſich in den Gemuͤ¬ thern deutſcher Juͤnglinge nicht ſo entſchieden entwickeln koͤnnen, haͤtte ſie nicht eine aͤußere Veranlaſſung zu dieſem traurigen Geſchaͤft an¬ geregt und gefoͤrdert. Es geſchah dieſes durch die engliſche Literatur, beſonders durch die poetiſche, deren große Vorzuͤge ein ernſter Truͤbſinn begleitet, welchen ſie einem Jeden mittheilt, der ſich mit ihr beſchaͤftigt. Der geiſtreiche Britte ſieht ſich von Jugend auf von einer bedeutenden Welt umgeben, die alle ſeine Kraͤfte anregt; er wird fruͤher oder ſpaͤter ge¬ wahr, daß er allen ſeinen Verſtand zuſammen¬ nehmen muß, um ſich mit ihr abzufinden. Wie viele ihrer Dichter haben nicht in der Jugend ein loſes und rauſchendes Leben ge¬ fuͤhrt, und ſich fruͤh berechtigt gefunden, die irdiſchen Dinge der Eitelkeit anzuklagen! Wie viele derſelben haben ſich in den Weltgeſchaͤften verſucht, und im Parlament, bey Hofe, im
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Solche duͤſtere Betrachtungen jedoch, wel¬
che denjenigen, der ſich ihnen uͤberlaͤßt, ins
Unendliche fuͤhren, haͤtten ſich in den Gemuͤ¬
thern deutſcher Juͤnglinge nicht ſo entſchieden
entwickeln koͤnnen, haͤtte ſie nicht eine aͤußere
Veranlaſſung zu dieſem traurigen Geſchaͤft an¬
geregt und gefoͤrdert. Es geſchah dieſes durch
die engliſche Literatur, beſonders durch die
poetiſche, deren große Vorzuͤge ein ernſter
Truͤbſinn begleitet, welchen ſie einem Jeden
mittheilt, der ſich mit ihr beſchaͤftigt. Der
geiſtreiche Britte ſieht ſich von Jugend auf von
einer bedeutenden Welt umgeben, die alle ſeine
Kraͤfte anregt; er wird fruͤher oder ſpaͤter ge¬
wahr, daß er allen ſeinen Verſtand zuſammen¬
nehmen muß, um ſich mit ihr abzufinden.
Wie viele ihrer Dichter haben nicht in der
Jugend ein loſes und rauſchendes Leben ge¬
fuͤhrt, und ſich fruͤh berechtigt gefunden, die
irdiſchen Dinge der Eitelkeit anzuklagen! Wie
viele derſelben haben ſich in den Weltgeſchaͤften
verſucht, und im Parlament, bey Hofe, im
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/333>, abgerufen am 23.11.2024.
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