ist zerstört, sie erscheint vergänglich wie alles Wiederkehrende. Die Absonderung des Sinn¬ lichen vom Sittlichen, die in der verflochte¬ nen cultivirten Welt die liebenden und begeh¬ renden Empfindungen spaltet, bringt auch hier eine Uebertriebenheit hervor, die nichts Gu¬ tes stiften kann.
Ferner wird ein junger Mann, wo nicht gerade an sich selbst, doch an andern bald ge¬ wahr, daß moralische Epochen eben so gut wie die Jahreszeiten wechseln. Die Gnade der Großen, die Gunst der Gewaltigen, die Förderung der Thätigen, die Neigung der Menge, die Liebe der Einzelnen, alles wan¬ delt auf und nieder, ohne daß wir es festhal¬ ten können, so wenig als Sonne, Mond und Sterne; und doch sind diese Dinge nicht blo¬ ße Naturereignisse: sie entgehen uns durch eigne oder fremde Schuld, durch Zufall oder Geschick, aber sie wechseln, und wir sind ih¬ rer niemals sicher.
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iſt zerſtoͤrt, ſie erſcheint vergaͤnglich wie alles Wiederkehrende. Die Abſonderung des Sinn¬ lichen vom Sittlichen, die in der verflochte¬ nen cultivirten Welt die liebenden und begeh¬ renden Empfindungen ſpaltet, bringt auch hier eine Uebertriebenheit hervor, die nichts Gu¬ tes ſtiften kann.
Ferner wird ein junger Mann, wo nicht gerade an ſich ſelbſt, doch an andern bald ge¬ wahr, daß moraliſche Epochen eben ſo gut wie die Jahreszeiten wechſeln. Die Gnade der Großen, die Gunſt der Gewaltigen, die Foͤrderung der Thaͤtigen, die Neigung der Menge, die Liebe der Einzelnen, alles wan¬ delt auf und nieder, ohne daß wir es feſthal¬ ten koͤnnen, ſo wenig als Sonne, Mond und Sterne; und doch ſind dieſe Dinge nicht blo¬ ße Naturereigniſſe: ſie entgehen uns durch eigne oder fremde Schuld, durch Zufall oder Geſchick, aber ſie wechſeln, und wir ſind ih¬ rer niemals ſicher.
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iſt zerſtoͤrt, ſie erſcheint vergaͤnglich wie alles
Wiederkehrende. Die Abſonderung des Sinn¬
lichen vom Sittlichen, die in der verflochte¬
nen cultivirten Welt die liebenden und begeh¬
renden Empfindungen ſpaltet, bringt auch hier
eine Uebertriebenheit hervor, die nichts Gu¬
tes ſtiften kann.
Ferner wird ein junger Mann, wo nicht
gerade an ſich ſelbſt, doch an andern bald ge¬
wahr, daß moraliſche Epochen eben ſo gut
wie die Jahreszeiten wechſeln. Die Gnade
der Großen, die Gunſt der Gewaltigen, die
Foͤrderung der Thaͤtigen, die Neigung der
Menge, die Liebe der Einzelnen, alles wan¬
delt auf und nieder, ohne daß wir es feſthal¬
ten koͤnnen, ſo wenig als Sonne, Mond und
Sterne; und doch ſind dieſe Dinge nicht blo¬
ße Naturereigniſſe: ſie entgehen uns durch
eigne oder fremde Schuld, durch Zufall oder
Geſchick, aber ſie wechſeln, und wir ſind ih¬
rer niemals ſicher.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/331>, abgerufen am 23.11.2024.
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