hand, und wie ohnehin gegen das Ende Goetz außer Thätigkeit gesetzt ist, und dann nur zu einer unglücklichen Theilnahme am Bauern¬ kriege zurückkehrt, so war nichts natürlicher, als daß eine reizende Frau ihn bey dem Au¬ tor ausstach, der die Kunstfesseln abschüttelnd, in einem neuen Felde sich zu versuchen dachte. Diesen Mangel, oder vielmehr diesen tadelhaf¬ ten Ueberfluß, erkannte ich gar bald, da die Natur meiner Poesie mich immer zur Einheit hindrängte. Ich hegte nun, anstatt der Le¬ bensbeschreibung Goetzens und der deutschen Alterthümer, mein eignes Werk im Sinne, und suchte ihm immer mehr historischen und nationalen Gehalt zu geben, und das was daran fabelhaft oder bloß leidenschaftlich war, auszulöschen; wobey ich freylich manches auf¬ opferte, indem die menschliche Neigung der künstlerischen Ueberzeugung weichen mußte. So hatte ich mir z. B. etwas Rechts zu Gu¬ te gethan, indem ich in einer grauserlich nächt¬ lichen Zigeunerscene Adelheid auftreten und
III. 20
hand, und wie ohnehin gegen das Ende Goetz außer Thaͤtigkeit geſetzt iſt, und dann nur zu einer ungluͤcklichen Theilnahme am Bauern¬ kriege zuruͤckkehrt, ſo war nichts natuͤrlicher, als daß eine reizende Frau ihn bey dem Au¬ tor ausſtach, der die Kunſtfeſſeln abſchuͤttelnd, in einem neuen Felde ſich zu verſuchen dachte. Dieſen Mangel, oder vielmehr dieſen tadelhaf¬ ten Ueberfluß, erkannte ich gar bald, da die Natur meiner Poeſie mich immer zur Einheit hindraͤngte. Ich hegte nun, anſtatt der Le¬ bensbeſchreibung Goetzens und der deutſchen Alterthuͤmer, mein eignes Werk im Sinne, und ſuchte ihm immer mehr hiſtoriſchen und nationalen Gehalt zu geben, und das was daran fabelhaft oder bloß leidenſchaftlich war, auszuloͤſchen; wobey ich freylich manches auf¬ opferte, indem die menſchliche Neigung der kuͤnſtleriſchen Ueberzeugung weichen mußte. So hatte ich mir z. B. etwas Rechts zu Gu¬ te gethan, indem ich in einer grauſerlich naͤcht¬ lichen Zigeunerſcene Adelheid auftreten und
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hand, und wie ohnehin gegen das Ende Goetz
außer Thaͤtigkeit geſetzt iſt, und dann nur zu
einer ungluͤcklichen Theilnahme am Bauern¬
kriege zuruͤckkehrt, ſo war nichts natuͤrlicher,
als daß eine reizende Frau ihn bey dem Au¬
tor ausſtach, der die Kunſtfeſſeln abſchuͤttelnd,
in einem neuen Felde ſich zu verſuchen dachte.
Dieſen Mangel, oder vielmehr dieſen tadelhaf¬
ten Ueberfluß, erkannte ich gar bald, da die
Natur meiner Poeſie mich immer zur Einheit
hindraͤngte. Ich hegte nun, anſtatt der Le¬
bensbeſchreibung Goetzens und der deutſchen
Alterthuͤmer, mein eignes Werk im Sinne,
und ſuchte ihm immer mehr hiſtoriſchen und
nationalen Gehalt zu geben, und das was
daran fabelhaft oder bloß leidenſchaftlich war,
auszuloͤſchen; wobey ich freylich manches auf¬
opferte, indem die menſchliche Neigung der
kuͤnſtleriſchen Ueberzeugung weichen mußte.
So hatte ich mir z. B. etwas Rechts zu Gu¬
te gethan, indem ich in einer grauſerlich naͤcht¬
lichen Zigeunerſcene Adelheid auftreten und
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/313>, abgerufen am 23.11.2024.
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