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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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ge, der Wurf war einmal gethan, und es
fragte sich nur, wie man die Steine im Brett
vortheilhaft setzte. Ich sah wohl, daß mir
auch hier Niemand rathen würde, und als
ich nach einiger Zeit mein Wert wie ein frem¬
des betrachten konnte, so erkannte ich freylich
daß ich, bey dem Versuch auf die Einheit
der Zeit und des Orts Verzicht zu thun, auch
der höheren Einheit, die um desto mehr ge¬
fordert wird, Eintrag gethan hatte. Da ich
mich, ohne Plan und Entwurf, bloß der Ein¬
bildungskraft und einem innern Trieb über¬
ließ, so war ich von vorne herein ziemlich bey
der Klinge geblieben, und die ersten Acte
konnten für das was sie seyn sollten, gar füglich
gelten; in den folgenden aber, und besonders
gegen das Ende, riß mich eine wundersame
Leidenschaft unbewußt hin. Ich hatte mich,
indem ich Adelheid liebenswürdig zu schil¬
dern trachtete, selbst in sie verliebt, unwill¬
kührlich war meine Feder nur ihr gewidmet,
das Interesse an ihrem Schicksal nahm über¬

ge, der Wurf war einmal gethan, und es
fragte ſich nur, wie man die Steine im Brett
vortheilhaft ſetzte. Ich ſah wohl, daß mir
auch hier Niemand rathen wuͤrde, und als
ich nach einiger Zeit mein Wert wie ein frem¬
des betrachten konnte, ſo erkannte ich freylich
daß ich, bey dem Verſuch auf die Einheit
der Zeit und des Orts Verzicht zu thun, auch
der hoͤheren Einheit, die um deſto mehr ge¬
fordert wird, Eintrag gethan hatte. Da ich
mich, ohne Plan und Entwurf, bloß der Ein¬
bildungskraft und einem innern Trieb uͤber¬
ließ, ſo war ich von vorne herein ziemlich bey
der Klinge geblieben, und die erſten Acte
konnten fuͤr das was ſie ſeyn ſollten, gar fuͤglich
gelten; in den folgenden aber, und beſonders
gegen das Ende, riß mich eine wunderſame
Leidenſchaft unbewußt hin. Ich hatte mich,
indem ich Adelheid liebenswuͤrdig zu ſchil¬
dern trachtete, ſelbſt in ſie verliebt, unwill¬
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[304/0312] ge, der Wurf war einmal gethan, und es fragte ſich nur, wie man die Steine im Brett vortheilhaft ſetzte. Ich ſah wohl, daß mir auch hier Niemand rathen wuͤrde, und als ich nach einiger Zeit mein Wert wie ein frem¬ des betrachten konnte, ſo erkannte ich freylich daß ich, bey dem Verſuch auf die Einheit der Zeit und des Orts Verzicht zu thun, auch der hoͤheren Einheit, die um deſto mehr ge¬ fordert wird, Eintrag gethan hatte. Da ich mich, ohne Plan und Entwurf, bloß der Ein¬ bildungskraft und einem innern Trieb uͤber¬ ließ, ſo war ich von vorne herein ziemlich bey der Klinge geblieben, und die erſten Acte konnten fuͤr das was ſie ſeyn ſollten, gar fuͤglich gelten; in den folgenden aber, und beſonders gegen das Ende, riß mich eine wunderſame Leidenſchaft unbewußt hin. Ich hatte mich, indem ich Adelheid liebenswuͤrdig zu ſchil¬ dern trachtete, ſelbſt in ſie verliebt, unwill¬ kuͤhrlich war meine Feder nur ihr gewidmet, das Intereſſe an ihrem Schickſal nahm uͤber¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/312>, abgerufen am 23.11.2024.