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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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von ihm selbst geschrieben, trieb mich in die
historische Behandlungsart, und meine Ein¬
bildungskraft dehnte sich dergestalt aus, daß
auch meine dramatische Form alle Theater¬
grenzen überschritt, und sich den lebendigen
Ereignissen mehr und mehr zu nähern suchte.
Ich hatte mich davon, so wie ich vorwärts
ging, mit meiner Schwester umständlich unter¬
halten, die an solchen Dingen mit Geist und
Gemüth Theil nahm, und ich erneuerte diese
Unterhaltung so oft, ohne nur irgend zum
Werke zu schreiten, daß sie zuletzt ungeduldig
und wohlwollend dringend bat, mich nur nicht
immer mit Worten in die Luft zu ergehn,
sondern endlich einmal das was mir so gegen¬
wärtig wäre, auf das Papier festzubringen.
Durch diesen Antrieb bestimmt, fing ich eines
Morgens zu schreiben an, ohne daß ich einen
Entwurf oder Plan vorher aufgesetzt hätte.
Ich schrieb die ersten Scenen, und Abends
wurden sie Cornelien vorgelesen. Sie schenk¬
te ihnen vielen Beyfall, jedoch nur bedingt,

von ihm ſelbſt geſchrieben, trieb mich in die
hiſtoriſche Behandlungsart, und meine Ein¬
bildungskraft dehnte ſich dergeſtalt aus, daß
auch meine dramatiſche Form alle Theater¬
grenzen uͤberſchritt, und ſich den lebendigen
Ereigniſſen mehr und mehr zu naͤhern ſuchte.
Ich hatte mich davon, ſo wie ich vorwaͤrts
ging, mit meiner Schweſter umſtaͤndlich unter¬
halten, die an ſolchen Dingen mit Geiſt und
Gemuͤth Theil nahm, und ich erneuerte dieſe
Unterhaltung ſo oft, ohne nur irgend zum
Werke zu ſchreiten, daß ſie zuletzt ungeduldig
und wohlwollend dringend bat, mich nur nicht
immer mit Worten in die Luft zu ergehn,
ſondern endlich einmal das was mir ſo gegen¬
waͤrtig waͤre, auf das Papier feſtzubringen.
Durch dieſen Antrieb beſtimmt, fing ich eines
Morgens zu ſchreiben an, ohne daß ich einen
Entwurf oder Plan vorher aufgeſetzt haͤtte.
Ich ſchrieb die erſten Scenen, und Abends
wurden ſie Cornelien vorgeleſen. Sie ſchenk¬
te ihnen vielen Beyfall, jedoch nur bedingt,

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[302/0310] von ihm ſelbſt geſchrieben, trieb mich in die hiſtoriſche Behandlungsart, und meine Ein¬ bildungskraft dehnte ſich dergeſtalt aus, daß auch meine dramatiſche Form alle Theater¬ grenzen uͤberſchritt, und ſich den lebendigen Ereigniſſen mehr und mehr zu naͤhern ſuchte. Ich hatte mich davon, ſo wie ich vorwaͤrts ging, mit meiner Schweſter umſtaͤndlich unter¬ halten, die an ſolchen Dingen mit Geiſt und Gemuͤth Theil nahm, und ich erneuerte dieſe Unterhaltung ſo oft, ohne nur irgend zum Werke zu ſchreiten, daß ſie zuletzt ungeduldig und wohlwollend dringend bat, mich nur nicht immer mit Worten in die Luft zu ergehn, ſondern endlich einmal das was mir ſo gegen¬ waͤrtig waͤre, auf das Papier feſtzubringen. Durch dieſen Antrieb beſtimmt, fing ich eines Morgens zu ſchreiben an, ohne daß ich einen Entwurf oder Plan vorher aufgeſetzt haͤtte. Ich ſchrieb die erſten Scenen, und Abends wurden ſie Cornelien vorgeleſen. Sie ſchenk¬ te ihnen vielen Beyfall, jedoch nur bedingt,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/310>, abgerufen am 23.11.2024.