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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Misheiraten befördert, und einer unserer vor¬
züglichen Sachwalter erwarb sich den höchsten
Ruhm, als er einem Scharfrichtersohne den
Eingang in das Collegium der Aerzte zu er¬
fechten wußte. Vergebens widersetzten sich
Gilden und Körperschaften; ein Damm nach
dem andern ward durchbrochen. Die Duld¬
samkeit der Religionsparteyen gegen einander
ward nicht bloß gelehrt, sondern ausgeübt,
und mit einem noch größern Einflusse ward die
bürgerliche Verfassung bedroht, als man Duld¬
samkeit gegen die Juden, mit Verstand, Scharf¬
sinn und Kraft, der gutmüthigen Zeit anzu¬
empfehlen bemüht war. Diese neuen Gegen¬
stände rechtlicher Behandlung, welche außer¬
halb des Gesetzes und des Herkommens la¬
gen und nur an billige Beurtheilung, an ge¬
müthliche Theilnahme Anspruch machten, for¬
derten zugleich einen natürlicheren und lebhaf¬
teren Stil. Hier war uns, den Jüngsten,
ein heiteres Feld eröffnet, in welchem wir
uns mit Lust herumtummelten, und ich erin¬

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Misheiraten befoͤrdert, und einer unſerer vor¬
zuͤglichen Sachwalter erwarb ſich den hoͤchſten
Ruhm, als er einem Scharfrichterſohne den
Eingang in das Collegium der Aerzte zu er¬
fechten wußte. Vergebens widerſetzten ſich
Gilden und Koͤrperſchaften; ein Damm nach
dem andern ward durchbrochen. Die Duld¬
ſamkeit der Religionsparteyen gegen einander
ward nicht bloß gelehrt, ſondern ausgeuͤbt,
und mit einem noch groͤßern Einfluſſe ward die
buͤrgerliche Verfaſſung bedroht, als man Duld¬
ſamkeit gegen die Juden, mit Verſtand, Scharf¬
ſinn und Kraft, der gutmuͤthigen Zeit anzu¬
empfehlen bemuͤht war. Dieſe neuen Gegen¬
ſtaͤnde rechtlicher Behandlung, welche außer¬
halb des Geſetzes und des Herkommens la¬
gen und nur an billige Beurtheilung, an ge¬
muͤthliche Theilnahme Anſpruch machten, for¬
derten zugleich einen natuͤrlicheren und lebhaf¬
teren Stil. Hier war uns, den Juͤngſten,
ein heiteres Feld eroͤffnet, in welchem wir
uns mit Luſt herumtummelten, und ich erin¬

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[291/0299] Misheiraten befoͤrdert, und einer unſerer vor¬ zuͤglichen Sachwalter erwarb ſich den hoͤchſten Ruhm, als er einem Scharfrichterſohne den Eingang in das Collegium der Aerzte zu er¬ fechten wußte. Vergebens widerſetzten ſich Gilden und Koͤrperſchaften; ein Damm nach dem andern ward durchbrochen. Die Duld¬ ſamkeit der Religionsparteyen gegen einander ward nicht bloß gelehrt, ſondern ausgeuͤbt, und mit einem noch groͤßern Einfluſſe ward die buͤrgerliche Verfaſſung bedroht, als man Duld¬ ſamkeit gegen die Juden, mit Verſtand, Scharf¬ ſinn und Kraft, der gutmuͤthigen Zeit anzu¬ empfehlen bemuͤht war. Dieſe neuen Gegen¬ ſtaͤnde rechtlicher Behandlung, welche außer¬ halb des Geſetzes und des Herkommens la¬ gen und nur an billige Beurtheilung, an ge¬ muͤthliche Theilnahme Anſpruch machten, for¬ derten zugleich einen natuͤrlicheren und lebhaf¬ teren Stil. Hier war uns, den Juͤngſten, ein heiteres Feld eroͤffnet, in welchem wir uns mit Luſt herumtummelten, und ich erin¬ 19 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/299>, abgerufen am 24.11.2024.