Bey einem so lebhaften Austausch von Kenntnissen, Meynungen, Ueberzeugungen, lernte ich Höpfnern sehr bald näher kennen und gewann ihn lieb. Sobald wir allein wa¬ ren, sprach ich mit ihm über Gegenstände seines Fachs, welches ja auch mein Fach seyn sollte, und fand eine sehr natürlich zusammen¬ hängende Aufklärung und Belehrung. Ich war mir damals noch nicht deutlich bewußt, daß ich wohl aus Büchern und im Gespräch, nicht aber durch den zusammenhängenden Ca¬ theder-Vortrag etwas lernen konnte. Das Buch erlaubte mir, bey einer Stelle zu ver¬ weilen, ja rückwärts zu sehen, welches der mündliche Vortrag und der Lehrer nicht ge¬ statten konnte. Manchmal ergriff mich zu Anfang der Stunde ein Gedanke dem ich nachhing, darüber das Folgende verlor und ganz aus dem Zusammenhang geriet. Und so war es mir auch in den juristischen Colle¬ gien ergangen, weshalb ich gar manchen An¬ laß nehmen konnte, mich mit Höpfnern zu
Bey einem ſo lebhaften Austauſch von Kenntniſſen, Meynungen, Ueberzeugungen, lernte ich Hoͤpfnern ſehr bald naͤher kennen und gewann ihn lieb. Sobald wir allein wa¬ ren, ſprach ich mit ihm uͤber Gegenſtaͤnde ſeines Fachs, welches ja auch mein Fach ſeyn ſollte, und fand eine ſehr natuͤrlich zuſammen¬ haͤngende Aufklaͤrung und Belehrung. Ich war mir damals noch nicht deutlich bewußt, daß ich wohl aus Buͤchern und im Geſpraͤch, nicht aber durch den zuſammenhaͤngenden Ca¬ theder-Vortrag etwas lernen konnte. Das Buch erlaubte mir, bey einer Stelle zu ver¬ weilen, ja ruͤckwaͤrts zu ſehen, welches der muͤndliche Vortrag und der Lehrer nicht ge¬ ſtatten konnte. Manchmal ergriff mich zu Anfang der Stunde ein Gedanke dem ich nachhing, daruͤber das Folgende verlor und ganz aus dem Zuſammenhang geriet. Und ſo war es mir auch in den juriſtiſchen Colle¬ gien ergangen, weshalb ich gar manchen An¬ laß nehmen konnte, mich mit Hoͤpfnern zu
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Bey einem ſo lebhaften Austauſch von
Kenntniſſen, Meynungen, Ueberzeugungen,
lernte ich Hoͤpfnern ſehr bald naͤher kennen
und gewann ihn lieb. Sobald wir allein wa¬
ren, ſprach ich mit ihm uͤber Gegenſtaͤnde
ſeines Fachs, welches ja auch mein Fach ſeyn
ſollte, und fand eine ſehr natuͤrlich zuſammen¬
haͤngende Aufklaͤrung und Belehrung. Ich
war mir damals noch nicht deutlich bewußt,
daß ich wohl aus Buͤchern und im Geſpraͤch,
nicht aber durch den zuſammenhaͤngenden Ca¬
theder-Vortrag etwas lernen konnte. Das
Buch erlaubte mir, bey einer Stelle zu ver¬
weilen, ja ruͤckwaͤrts zu ſehen, welches der
muͤndliche Vortrag und der Lehrer nicht ge¬
ſtatten konnte. Manchmal ergriff mich zu
Anfang der Stunde ein Gedanke dem ich
nachhing, daruͤber das Folgende verlor und
ganz aus dem Zuſammenhang geriet. Und
ſo war es mir auch in den juriſtiſchen Colle¬
gien ergangen, weshalb ich gar manchen An¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/262>, abgerufen am 24.11.2024.
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