Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

mich aufs innigste berührte. Der malerische
Blick gesellte sich zu dem dichterischen, die
schöne ländliche, durch den freundlichen Fluß
belebte Landschaft vermehrte meine Neigung
zur Einsamkeit, und begünstigte meine stillen
nach allen Seiten hin sich ausbreitenden Be¬
trachtungen.

Aber seitdem ich jenen Familienkreis zu
Sesenheim und nun wieder meinen Freundes¬
zirkel zu Frankfurt und Darmstadt verlassen,
war mir eine Leere im Busen geblieben, die
ich auszufüllen nicht vermochte; ich befand
mich daher in einer Lage, wo uns die Nei¬
gung, sobald sie nur einigermaßen verhüllt
auftritt, unversehens überschleichen und alle
guten Vorsätze vereiteln kann.

Und indem nun der Verfasser zu dieser
Stufe seines Unternehmens gelangt, fühlt er
sich zum ersten Mal bey der Arbeit leicht ums
Herz: denn von nun an wird dieses Buch

mich aufs innigſte beruͤhrte. Der maleriſche
Blick geſellte ſich zu dem dichteriſchen, die
ſchoͤne laͤndliche, durch den freundlichen Fluß
belebte Landſchaft vermehrte meine Neigung
zur Einſamkeit, und beguͤnſtigte meine ſtillen
nach allen Seiten hin ſich ausbreitenden Be¬
trachtungen.

Aber ſeitdem ich jenen Familienkreis zu
Seſenheim und nun wieder meinen Freundes¬
zirkel zu Frankfurt und Darmſtadt verlaſſen,
war mir eine Leere im Buſen geblieben, die
ich auszufuͤllen nicht vermochte; ich befand
mich daher in einer Lage, wo uns die Nei¬
gung, ſobald ſie nur einigermaßen verhuͤllt
auftritt, unverſehens uͤberſchleichen und alle
guten Vorſaͤtze vereiteln kann.

Und indem nun der Verfaſſer zu dieſer
Stufe ſeines Unternehmens gelangt, fuͤhlt er
ſich zum erſten Mal bey der Arbeit leicht ums
Herz: denn von nun an wird dieſes Buch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0237" n="229"/>
mich aufs innig&#x017F;te beru&#x0364;hrte. Der maleri&#x017F;che<lb/>
Blick ge&#x017F;ellte &#x017F;ich zu dem dichteri&#x017F;chen, die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;ne la&#x0364;ndliche, durch den freundlichen Fluß<lb/>
belebte Land&#x017F;chaft vermehrte meine Neigung<lb/>
zur Ein&#x017F;amkeit, und begu&#x0364;n&#x017F;tigte meine &#x017F;tillen<lb/>
nach allen Seiten hin &#x017F;ich ausbreitenden Be¬<lb/>
trachtungen.</p><lb/>
        <p>Aber &#x017F;eitdem ich jenen Familienkreis zu<lb/>
Se&#x017F;enheim und nun wieder meinen Freundes¬<lb/>
zirkel zu Frankfurt und Darm&#x017F;tadt verla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
war mir eine Leere im Bu&#x017F;en geblieben, die<lb/>
ich auszufu&#x0364;llen nicht vermochte; ich befand<lb/>
mich daher in einer Lage, wo uns die Nei¬<lb/>
gung, &#x017F;obald &#x017F;ie nur einigermaßen verhu&#x0364;llt<lb/>
auftritt, unver&#x017F;ehens u&#x0364;ber&#x017F;chleichen und alle<lb/>
guten Vor&#x017F;a&#x0364;tze vereiteln kann.</p><lb/>
        <p>Und indem nun der Verfa&#x017F;&#x017F;er zu die&#x017F;er<lb/>
Stufe &#x017F;eines Unternehmens gelangt, fu&#x0364;hlt er<lb/>
&#x017F;ich zum er&#x017F;ten Mal bey der Arbeit leicht ums<lb/>
Herz: denn von nun an wird die&#x017F;es Buch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0237] mich aufs innigſte beruͤhrte. Der maleriſche Blick geſellte ſich zu dem dichteriſchen, die ſchoͤne laͤndliche, durch den freundlichen Fluß belebte Landſchaft vermehrte meine Neigung zur Einſamkeit, und beguͤnſtigte meine ſtillen nach allen Seiten hin ſich ausbreitenden Be¬ trachtungen. Aber ſeitdem ich jenen Familienkreis zu Seſenheim und nun wieder meinen Freundes¬ zirkel zu Frankfurt und Darmſtadt verlaſſen, war mir eine Leere im Buſen geblieben, die ich auszufuͤllen nicht vermochte; ich befand mich daher in einer Lage, wo uns die Nei¬ gung, ſobald ſie nur einigermaßen verhuͤllt auftritt, unverſehens uͤberſchleichen und alle guten Vorſaͤtze vereiteln kann. Und indem nun der Verfaſſer zu dieſer Stufe ſeines Unternehmens gelangt, fuͤhlt er ſich zum erſten Mal bey der Arbeit leicht ums Herz: denn von nun an wird dieſes Buch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/237
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/237>, abgerufen am 23.11.2024.