ästhetischen Arbeiten gelingen wollten, in ästhe¬ tische Speculationen; wie denn alles Theo¬ retisiren auf Mangel oder Stockung von Pro¬ ductionskraft hindeutet. Früher mit Merken, nunmehr manchmal mit Gottern, machte ich den Versuch, Maximen auszufinden, wonach man beym Hervorbringen zu Werke gehn könn¬ te. Aber weder mir noch ihnen wollte es ge¬ lingen. Merk war Zweifler und Eklektiker, Gotter hielt sich an solche Beyspiele, die ihm am meisten zusagten. Die Sulzersche Theo¬ rie war angekündigt, mehr für den Liebhaber als für den Künstler. In diesem Gesichts¬ kreise werden vor allem sittliche Wirkungen gefordert, und hier entsteht sogleich ein Zwie¬ spalt zwischen der hervorbringenden und be¬ nutzenden Classe; denn ein gutes Kunstwerk kann und wird zwar moralische Folgen haben, aber moralische Zwecke vom Künstler fordern, heißt ihm sein Handwerk verderben.
III. 15
aͤſthetiſchen Arbeiten gelingen wollten, in aͤſthe¬ tiſche Speculationen; wie denn alles Theo¬ retiſiren auf Mangel oder Stockung von Pro¬ ductionskraft hindeutet. Fruͤher mit Merken, nunmehr manchmal mit Gottern, machte ich den Verſuch, Maximen auszufinden, wonach man beym Hervorbringen zu Werke gehn koͤnn¬ te. Aber weder mir noch ihnen wollte es ge¬ lingen. Merk war Zweifler und Eklektiker, Gotter hielt ſich an ſolche Beyſpiele, die ihm am meiſten zuſagten. Die Sulzerſche Theo¬ rie war angekuͤndigt, mehr fuͤr den Liebhaber als fuͤr den Kuͤnſtler. In dieſem Geſichts¬ kreiſe werden vor allem ſittliche Wirkungen gefordert, und hier entſteht ſogleich ein Zwie¬ ſpalt zwiſchen der hervorbringenden und be¬ nutzenden Claſſe; denn ein gutes Kunſtwerk kann und wird zwar moraliſche Folgen haben, aber moraliſche Zwecke vom Kuͤnſtler fordern, heißt ihm ſein Handwerk verderben.
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aͤſthetiſchen Arbeiten gelingen wollten, in aͤſthe¬
tiſche Speculationen; wie denn alles Theo¬
retiſiren auf Mangel oder Stockung von Pro¬
ductionskraft hindeutet. Fruͤher mit Merken,
nunmehr manchmal mit Gottern, machte ich
den Verſuch, Maximen auszufinden, wonach
man beym Hervorbringen zu Werke gehn koͤnn¬
te. Aber weder mir noch ihnen wollte es ge¬
lingen. Merk war Zweifler und Eklektiker,
Gotter hielt ſich an ſolche Beyſpiele, die ihm
am meiſten zuſagten. Die Sulzerſche Theo¬
rie war angekuͤndigt, mehr fuͤr den Liebhaber
als fuͤr den Kuͤnſtler. In dieſem Geſichts¬
kreiſe werden vor allem ſittliche Wirkungen
gefordert, und hier entſteht ſogleich ein Zwie¬
ſpalt zwiſchen der hervorbringenden und be¬
nutzenden Claſſe; denn ein gutes Kunſtwerk
kann und wird zwar moraliſche Folgen haben,
aber moraliſche Zwecke vom Kuͤnſtler fordern,
heißt ihm ſein Handwerk verderben.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/233>, abgerufen am 27.11.2024.
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