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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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schäftes, und seiner immer wachsenden Hin¬
dernisse, die Entdeckung neuer Gebrechen klang
stündlich durch. Hier war nun abermals das
heilige römische Reich versammelt, nicht bloß
zu äußerlichen Feyerlichkeiten, sondern zu ei¬
nem ins Allertiefste greifenden Geschäfte. Aber
auch hier mußte mir jener halbleere Speise¬
saal am Krönungstage einfallen, wo die ge¬
ladenen Gäste außen blieben, weil sie zu vor¬
nehm waren. Hier hatten sie sich zwar ein¬
gefunden, aber man mußte noch schlimmere
Symptome gewahr werden. Der Unzusam¬
menhalt des Ganzen, das Widerspiel der Thei¬
le kamen fortwährend zum Vorschein, und es
war kein Geheimniß geblieben, daß Fürsten
unter einander sich die Absicht vertraulich mit¬
getheilt hatten: man müsse sehn, ob man
nicht, bey dieser Gelegenheit, dem Oberhaupt
etwas abgewinnen könne?

Welchen üblen Eindruck das kleine Detail
aller Anecdoten von Nachlässigkeiten und Ver¬

ſchaͤftes, und ſeiner immer wachſenden Hin¬
derniſſe, die Entdeckung neuer Gebrechen klang
ſtuͤndlich durch. Hier war nun abermals das
heilige roͤmiſche Reich verſammelt, nicht bloß
zu aͤußerlichen Feyerlichkeiten, ſondern zu ei¬
nem ins Allertiefſte greifenden Geſchaͤfte. Aber
auch hier mußte mir jener halbleere Speiſe¬
ſaal am Kroͤnungstage einfallen, wo die ge¬
ladenen Gaͤſte außen blieben, weil ſie zu vor¬
nehm waren. Hier hatten ſie ſich zwar ein¬
gefunden, aber man mußte noch ſchlimmere
Symptome gewahr werden. Der Unzuſam¬
menhalt des Ganzen, das Widerſpiel der Thei¬
le kamen fortwaͤhrend zum Vorſchein, und es
war kein Geheimniß geblieben, daß Fuͤrſten
unter einander ſich die Abſicht vertraulich mit¬
getheilt hatten: man muͤſſe ſehn, ob man
nicht, bey dieſer Gelegenheit, dem Oberhaupt
etwas abgewinnen koͤnne?

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[223/0231] ſchaͤftes, und ſeiner immer wachſenden Hin¬ derniſſe, die Entdeckung neuer Gebrechen klang ſtuͤndlich durch. Hier war nun abermals das heilige roͤmiſche Reich verſammelt, nicht bloß zu aͤußerlichen Feyerlichkeiten, ſondern zu ei¬ nem ins Allertiefſte greifenden Geſchaͤfte. Aber auch hier mußte mir jener halbleere Speiſe¬ ſaal am Kroͤnungstage einfallen, wo die ge¬ ladenen Gaͤſte außen blieben, weil ſie zu vor¬ nehm waren. Hier hatten ſie ſich zwar ein¬ gefunden, aber man mußte noch ſchlimmere Symptome gewahr werden. Der Unzuſam¬ menhalt des Ganzen, das Widerſpiel der Thei¬ le kamen fortwaͤhrend zum Vorſchein, und es war kein Geheimniß geblieben, daß Fuͤrſten unter einander ſich die Abſicht vertraulich mit¬ getheilt hatten: man muͤſſe ſehn, ob man nicht, bey dieſer Gelegenheit, dem Oberhaupt etwas abgewinnen koͤnne? Welchen uͤblen Eindruck das kleine Detail aller Anecdoten von Nachlaͤſſigkeiten und Ver¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/231>, abgerufen am 27.11.2024.