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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Costüm, welche immer mehr Licht verbreite¬
ten, nahm ich mit Freuden auf, und fuhr
fort, allen meinen Scharfsinn an den so wer¬
then Ueberlieferungen zu üben.

Man weiß, wie ich schon früher mich in
den Zustand der Urwelt, die uns das erste
Buch Mosis schildert, einzuweihen suchte.
Weil ich nun schrittweise und ordentlich zu
verfahren dachte, so griff ich, nach einer lan¬
gen Unterbrechung, das zweyte Buch an. Al¬
lein welch ein Unterschied! Gerade wie die
kindliche Fülle aus meinem Leben verschwun¬
den war, so fand ich auch das zweyte Buch
von dem ersten durch eine ungeheure Kluft
getrennt. Das völlige Vergessen vergangener
Zeit spricht sich schon aus in den wenigen be¬
deutenden Worten: "Da kam ein neuer Kö¬
nig auf in Aegypten, der wußte nichts von
Joseph." Aber auch das Volk, wie die Ster¬
ne des Himmels unzählbar, hatte beynah den
Ahnherrn vergessen, dem Jehovah gerade die¬

Coſtuͤm, welche immer mehr Licht verbreite¬
ten, nahm ich mit Freuden auf, und fuhr
fort, allen meinen Scharfſinn an den ſo wer¬
then Ueberlieferungen zu uͤben.

Man weiß, wie ich ſchon fruͤher mich in
den Zuſtand der Urwelt, die uns das erſte
Buch Moſis ſchildert, einzuweihen ſuchte.
Weil ich nun ſchrittweiſe und ordentlich zu
verfahren dachte, ſo griff ich, nach einer lan¬
gen Unterbrechung, das zweyte Buch an. Al¬
lein welch ein Unterſchied! Gerade wie die
kindliche Fuͤlle aus meinem Leben verſchwun¬
den war, ſo fand ich auch das zweyte Buch
von dem erſten durch eine ungeheure Kluft
getrennt. Das voͤllige Vergeſſen vergangener
Zeit ſpricht ſich ſchon aus in den wenigen be¬
deutenden Worten: „Da kam ein neuer Koͤ¬
nig auf in Aegypten, der wußte nichts von
Joſeph.“ Aber auch das Volk, wie die Ster¬
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[156/0164] Coſtuͤm, welche immer mehr Licht verbreite¬ ten, nahm ich mit Freuden auf, und fuhr fort, allen meinen Scharfſinn an den ſo wer¬ then Ueberlieferungen zu uͤben. Man weiß, wie ich ſchon fruͤher mich in den Zuſtand der Urwelt, die uns das erſte Buch Moſis ſchildert, einzuweihen ſuchte. Weil ich nun ſchrittweiſe und ordentlich zu verfahren dachte, ſo griff ich, nach einer lan¬ gen Unterbrechung, das zweyte Buch an. Al¬ lein welch ein Unterſchied! Gerade wie die kindliche Fuͤlle aus meinem Leben verſchwun¬ den war, ſo fand ich auch das zweyte Buch von dem erſten durch eine ungeheure Kluft getrennt. Das voͤllige Vergeſſen vergangener Zeit ſpricht ſich ſchon aus in den wenigen be¬ deutenden Worten: „Da kam ein neuer Koͤ¬ nig auf in Aegypten, der wußte nichts von Joſeph.“ Aber auch das Volk, wie die Ster¬ ne des Himmels unzaͤhlbar, hatte beynah den Ahnherrn vergeſſen, dem Jehovah gerade die¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/164>, abgerufen am 25.11.2024.