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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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ter Rechtsgelehrter, hatte als Sachwalter ein
allgemeines Vertrauen. Unter seinen Büchern
und Acten, in Zimmern wo die größte Ord¬
nung herrschte, war sein liebster Aufenthalt;
dort hab' ich ihn niemals anders als heiter
und theilnehmend gefunden. Auch in größe¬
rer Gesellschaft erwies er sich angenehm und
unterhaltend: denn sein Geist war, durch eine
ausgebreitete Lectüre, mit allem Schönen der
Vorwelt geziert. Er verschmähte nicht, bey
Gelegenheit, durch geistreiche lateinische Ge¬
dichte die geselligen Freuden zu vermehren;
wie ich denn noch verschiedene scherzhafte Di¬
stichen von ihm besitze, die er unter einige
von mir gezeichnete Portraite seltsamer, all¬
gemein bekannter Frankfurter Caricaturen ge¬
schrieben hatte. Oefters berieth ich mich mit
ihm über meinen einzuleitenden Lebens- und
Geschäftsgang, und hätten mich nicht hun¬
dertsältige Neigungen, Leidenschaften und Zer¬
streuungen von diesem Wege fortgerissen, er
würde mir der sicherste Führer geworden seyn.

ter Rechtsgelehrter, hatte als Sachwalter ein
allgemeines Vertrauen. Unter ſeinen Buͤchern
und Acten, in Zimmern wo die groͤßte Ord¬
nung herrſchte, war ſein liebſter Aufenthalt;
dort hab' ich ihn niemals anders als heiter
und theilnehmend gefunden. Auch in groͤße¬
rer Geſellſchaft erwies er ſich angenehm und
unterhaltend: denn ſein Geiſt war, durch eine
ausgebreitete Lectuͤre, mit allem Schoͤnen der
Vorwelt geziert. Er verſchmaͤhte nicht, bey
Gelegenheit, durch geiſtreiche lateiniſche Ge¬
dichte die geſelligen Freuden zu vermehren;
wie ich denn noch verſchiedene ſcherzhafte Di¬
ſtichen von ihm beſitze, die er unter einige
von mir gezeichnete Portraite ſeltſamer, all¬
gemein bekannter Frankfurter Caricaturen ge¬
ſchrieben hatte. Oefters berieth ich mich mit
ihm uͤber meinen einzuleitenden Lebens- und
Geſchaͤftsgang, und haͤtten mich nicht hun¬
dertſaͤltige Neigungen, Leidenſchaften und Zer¬
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[141/0149] ter Rechtsgelehrter, hatte als Sachwalter ein allgemeines Vertrauen. Unter ſeinen Buͤchern und Acten, in Zimmern wo die groͤßte Ord¬ nung herrſchte, war ſein liebſter Aufenthalt; dort hab' ich ihn niemals anders als heiter und theilnehmend gefunden. Auch in groͤße¬ rer Geſellſchaft erwies er ſich angenehm und unterhaltend: denn ſein Geiſt war, durch eine ausgebreitete Lectuͤre, mit allem Schoͤnen der Vorwelt geziert. Er verſchmaͤhte nicht, bey Gelegenheit, durch geiſtreiche lateiniſche Ge¬ dichte die geſelligen Freuden zu vermehren; wie ich denn noch verſchiedene ſcherzhafte Di¬ ſtichen von ihm beſitze, die er unter einige von mir gezeichnete Portraite ſeltſamer, all¬ gemein bekannter Frankfurter Caricaturen ge¬ ſchrieben hatte. Oefters berieth ich mich mit ihm uͤber meinen einzuleitenden Lebens- und Geſchaͤftsgang, und haͤtten mich nicht hun¬ dertſaͤltige Neigungen, Leidenſchaften und Zer¬ ſtreuungen von dieſem Wege fortgeriſſen, er wuͤrde mir der ſicherſte Fuͤhrer geworden ſeyn.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/149>, abgerufen am 23.11.2024.