Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

durch originalen Muthwillen mit ihm wettei¬
ferten. Hiezu trug nicht wenig bey, daß ich
ihn vor allen mit großem Enthusiasmus er¬
griffen hatte. Ein freudiges Bekennen, daß
etwas Höheres über mir schwebe, war an¬
steckend für meine Freunde, die sich alle die¬
ser Sinnesart hingaben. Wir leugneten die
Möglichkeit nicht, solche Verdienste näher zu
erkennen, sie zu begreifen, mit Einsicht zu
beurtheilen; aber dieß behielten wir uns für
spätere Epochen vor: gegenwärtig wollten wir
nur freudig theilnehmen, lebendig nachbilden,
und bey so großem Genuß, an dem Manne,
der ihn uns gab, nicht forschen und mäckeln,
vielmehr that es uns wohl, ihn unbedingt zu
verehren.

Will Jemand unmittelbar erfahren, was
damals in dieser lebendigen Gesellschaft ge¬
dacht, gesprochen und verhandelt worden, der
lese den Aufsatz Herders über Shaks¬
peare
, in dem Hefte von deutscher Art

durch originalen Muthwillen mit ihm wettei¬
ferten. Hiezu trug nicht wenig bey, daß ich
ihn vor allen mit großem Enthuſiasmus er¬
griffen hatte. Ein freudiges Bekennen, daß
etwas Hoͤheres uͤber mir ſchwebe, war an¬
ſteckend fuͤr meine Freunde, die ſich alle die¬
ſer Sinnesart hingaben. Wir leugneten die
Moͤglichkeit nicht, ſolche Verdienſte naͤher zu
erkennen, ſie zu begreifen, mit Einſicht zu
beurtheilen; aber dieß behielten wir uns fuͤr
ſpaͤtere Epochen vor: gegenwaͤrtig wollten wir
nur freudig theilnehmen, lebendig nachbilden,
und bey ſo großem Genuß, an dem Manne,
der ihn uns gab, nicht forſchen und maͤckeln,
vielmehr that es uns wohl, ihn unbedingt zu
verehren.

Will Jemand unmittelbar erfahren, was
damals in dieſer lebendigen Geſellſchaft ge¬
dacht, geſprochen und verhandelt worden, der
leſe den Aufſatz Herders uͤber Shaks¬
peare
, in dem Hefte von deutſcher Art

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0122" n="114"/>
durch originalen Muthwillen mit ihm wettei¬<lb/>
ferten. Hiezu trug nicht wenig bey, daß ich<lb/>
ihn vor allen mit großem Enthu&#x017F;iasmus er¬<lb/>
griffen hatte. Ein freudiges Bekennen, daß<lb/>
etwas Ho&#x0364;heres u&#x0364;ber mir &#x017F;chwebe, war an¬<lb/>
&#x017F;teckend fu&#x0364;r meine Freunde, die &#x017F;ich alle die¬<lb/>
&#x017F;er Sinnesart hingaben. Wir leugneten die<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit nicht, &#x017F;olche Verdien&#x017F;te na&#x0364;her zu<lb/>
erkennen, &#x017F;ie zu begreifen, mit Ein&#x017F;icht zu<lb/>
beurtheilen; aber dieß behielten wir uns fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;tere Epochen vor: gegenwa&#x0364;rtig wollten wir<lb/>
nur freudig theilnehmen, lebendig nachbilden,<lb/>
und bey &#x017F;o großem Genuß, an dem Manne,<lb/>
der ihn uns gab, nicht for&#x017F;chen und ma&#x0364;ckeln,<lb/>
vielmehr that es uns wohl, ihn unbedingt zu<lb/>
verehren.</p><lb/>
        <p>Will Jemand unmittelbar erfahren, was<lb/>
damals in die&#x017F;er lebendigen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ge¬<lb/>
dacht, ge&#x017F;prochen und verhandelt worden, der<lb/>
le&#x017F;e den Auf&#x017F;atz <hi rendition="#g">Herders u&#x0364;ber Shaks¬<lb/>
peare</hi>, in dem Hefte <hi rendition="#g">von deut&#x017F;cher Art<lb/></hi></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0122] durch originalen Muthwillen mit ihm wettei¬ ferten. Hiezu trug nicht wenig bey, daß ich ihn vor allen mit großem Enthuſiasmus er¬ griffen hatte. Ein freudiges Bekennen, daß etwas Hoͤheres uͤber mir ſchwebe, war an¬ ſteckend fuͤr meine Freunde, die ſich alle die¬ ſer Sinnesart hingaben. Wir leugneten die Moͤglichkeit nicht, ſolche Verdienſte naͤher zu erkennen, ſie zu begreifen, mit Einſicht zu beurtheilen; aber dieß behielten wir uns fuͤr ſpaͤtere Epochen vor: gegenwaͤrtig wollten wir nur freudig theilnehmen, lebendig nachbilden, und bey ſo großem Genuß, an dem Manne, der ihn uns gab, nicht forſchen und maͤckeln, vielmehr that es uns wohl, ihn unbedingt zu verehren. Will Jemand unmittelbar erfahren, was damals in dieſer lebendigen Geſellſchaft ge¬ dacht, geſprochen und verhandelt worden, der leſe den Aufſatz Herders uͤber Shaks¬ peare, in dem Hefte von deutſcher Art

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/122
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/122>, abgerufen am 24.11.2024.