Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

höchst ungern ließ ich mich von diesem Schau¬
spiel abrufen, das ich genauer zu beobachten
gewünscht hätte. Auf Befragen wollte der
Postillon zwar von einer solchen Erscheinung
nichts wissen, sagte aber, daß in der Nähe
sich ein alter Steinbruch befinde, dessen mitt¬
lere Vertiefung mit Wasser angefüllt sey. Ob
dieses nun ein Pandämonium von Irrlichtern
oder eine Gesellschaft von leuchtenden Geschöp¬
fen gewesen, will ich nicht entscheiden.

Durch Thüringen wurden die Wege noch
schlimmer, und leider blieb unser Wagen in der
Gegend von Auerstädt bey einbrechender Nacht
stecken. Wir waren von allen Menschen ent¬
fernt, und thaten das Mögliche uns los zu
arbeiten. Ich ermangelte nicht, mich mit Ei¬
fer anzustrengen, und mochte mir dadurch die
Bänder der Brust übermäßig ausgedehnt ha¬
ben; denn ich empfand bald nachher einen
Schmerz, der verschwand und wiederkehrte
und erst nach vielen Jahren mich völlig verließ.

5 *

hoͤchſt ungern ließ ich mich von dieſem Schau¬
ſpiel abrufen, das ich genauer zu beobachten
gewuͤnſcht haͤtte. Auf Befragen wollte der
Poſtillon zwar von einer ſolchen Erſcheinung
nichts wiſſen, ſagte aber, daß in der Naͤhe
ſich ein alter Steinbruch befinde, deſſen mitt¬
lere Vertiefung mit Waſſer angefuͤllt ſey. Ob
dieſes nun ein Pandaͤmonium von Irrlichtern
oder eine Geſellſchaft von leuchtenden Geſchoͤp¬
fen geweſen, will ich nicht entſcheiden.

Durch Thuͤringen wurden die Wege noch
ſchlimmer, und leider blieb unſer Wagen in der
Gegend von Auerſtaͤdt bey einbrechender Nacht
ſtecken. Wir waren von allen Menſchen ent¬
fernt, und thaten das Moͤgliche uns los zu
arbeiten. Ich ermangelte nicht, mich mit Ei¬
fer anzuſtrengen, und mochte mir dadurch die
Baͤnder der Bruſt uͤbermaͤßig ausgedehnt ha¬
ben; denn ich empfand bald nachher einen
Schmerz, der verſchwand und wiederkehrte
und erſt nach vielen Jahren mich voͤllig verließ.

5 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0075" n="67"/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t ungern ließ ich mich von die&#x017F;em Schau¬<lb/>
&#x017F;piel abrufen, das ich genauer zu beobachten<lb/>
gewu&#x0364;n&#x017F;cht ha&#x0364;tte. Auf Befragen wollte der<lb/>
Po&#x017F;tillon zwar von einer &#x017F;olchen Er&#x017F;cheinung<lb/>
nichts wi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;agte aber, daß in der Na&#x0364;he<lb/>
&#x017F;ich ein alter Steinbruch befinde, de&#x017F;&#x017F;en mitt¬<lb/>
lere Vertiefung mit Wa&#x017F;&#x017F;er angefu&#x0364;llt &#x017F;ey. Ob<lb/>
die&#x017F;es nun ein Panda&#x0364;monium von Irrlichtern<lb/>
oder eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von leuchtenden Ge&#x017F;cho&#x0364;<lb/>
fen gewe&#x017F;en, will ich nicht ent&#x017F;cheiden.</p><lb/>
        <p>Durch Thu&#x0364;ringen wurden die Wege noch<lb/>
&#x017F;chlimmer, und leider blieb un&#x017F;er Wagen in der<lb/>
Gegend von Auer&#x017F;ta&#x0364;dt bey einbrechender Nacht<lb/>
&#x017F;tecken. Wir waren von allen Men&#x017F;chen ent¬<lb/>
fernt, und thaten das Mo&#x0364;gliche uns los zu<lb/>
arbeiten. Ich ermangelte nicht, mich mit Ei¬<lb/>
fer anzu&#x017F;trengen, und mochte mir dadurch die<lb/>
Ba&#x0364;nder der Bru&#x017F;t u&#x0364;berma&#x0364;ßig ausgedehnt ha¬<lb/>
ben; denn ich empfand bald nachher einen<lb/>
Schmerz, der ver&#x017F;chwand und wiederkehrte<lb/>
und er&#x017F;t nach vielen Jahren mich vo&#x0364;llig verließ.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">5 *<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0075] hoͤchſt ungern ließ ich mich von dieſem Schau¬ ſpiel abrufen, das ich genauer zu beobachten gewuͤnſcht haͤtte. Auf Befragen wollte der Poſtillon zwar von einer ſolchen Erſcheinung nichts wiſſen, ſagte aber, daß in der Naͤhe ſich ein alter Steinbruch befinde, deſſen mitt¬ lere Vertiefung mit Waſſer angefuͤllt ſey. Ob dieſes nun ein Pandaͤmonium von Irrlichtern oder eine Geſellſchaft von leuchtenden Geſchoͤp¬ fen geweſen, will ich nicht entſcheiden. Durch Thuͤringen wurden die Wege noch ſchlimmer, und leider blieb unſer Wagen in der Gegend von Auerſtaͤdt bey einbrechender Nacht ſtecken. Wir waren von allen Menſchen ent¬ fernt, und thaten das Moͤgliche uns los zu arbeiten. Ich ermangelte nicht, mich mit Ei¬ fer anzuſtrengen, und mochte mir dadurch die Baͤnder der Bruſt uͤbermaͤßig ausgedehnt ha¬ ben; denn ich empfand bald nachher einen Schmerz, der verſchwand und wiederkehrte und erſt nach vielen Jahren mich voͤllig verließ. 5 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/75
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/75>, abgerufen am 21.11.2024.