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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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fang und Ende denken sollen. Auch schien
mir die Frage einigermaßen müßig: denn
wenn Gott den Menschen als Menschen er¬
schaffen hatte, so war ihm ja so gut die
Sprache als der aufrechte Gang anerschaffen;
so gut er gleich merken mußte, daß er gehen
und greifen könne, so gut mußte er auch ge¬
wahr werden, daß er mit der Kehle zu sin¬
gen, und diese Töne durch Zunge, Gaumen
und Lippen noch auf verschiedene Weise zu
modificiren vermöge. War der Mensch gött¬
lichen Ursprungs, so war es ja auch die
Sprache selbst, und war der Mensch in dem
Umkreis der Natur betrachtet, ein natürliches
Wesen, so war die Sprache gleichfalls na¬
türlich. Diese beyden Dinge konnte ich wie
Seel' und Leib niemals auseinander bringen.
Silberschlag, bey einem cruden Realis¬
mus doch etwas phantastisch gesinnt, hatte
sich für den göttlichen Ursprung entschieden,
das heißt, daß Gott den Schulmeister bey
den ersten Menschen gespielt habe. Herders

fang und Ende denken ſollen. Auch ſchien
mir die Frage einigermaßen muͤßig: denn
wenn Gott den Menſchen als Menſchen er¬
ſchaffen hatte, ſo war ihm ja ſo gut die
Sprache als der aufrechte Gang anerſchaffen;
ſo gut er gleich merken mußte, daß er gehen
und greifen koͤnne, ſo gut mußte er auch ge¬
wahr werden, daß er mit der Kehle zu ſin¬
gen, und dieſe Toͤne durch Zunge, Gaumen
und Lippen noch auf verſchiedene Weiſe zu
modificiren vermoͤge. War der Menſch goͤtt¬
lichen Urſprungs, ſo war es ja auch die
Sprache ſelbſt, und war der Menſch in dem
Umkreis der Natur betrachtet, ein natuͤrliches
Weſen, ſo war die Sprache gleichfalls na¬
tuͤrlich. Dieſe beyden Dinge konnte ich wie
Seel' und Leib niemals auseinander bringen.
Silberſchlag, bey einem cruden Realis¬
mus doch etwas phantaſtiſch geſinnt, hatte
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[469/0477] fang und Ende denken ſollen. Auch ſchien mir die Frage einigermaßen muͤßig: denn wenn Gott den Menſchen als Menſchen er¬ ſchaffen hatte, ſo war ihm ja ſo gut die Sprache als der aufrechte Gang anerſchaffen; ſo gut er gleich merken mußte, daß er gehen und greifen koͤnne, ſo gut mußte er auch ge¬ wahr werden, daß er mit der Kehle zu ſin¬ gen, und dieſe Toͤne durch Zunge, Gaumen und Lippen noch auf verſchiedene Weiſe zu modificiren vermoͤge. War der Menſch goͤtt¬ lichen Urſprungs, ſo war es ja auch die Sprache ſelbſt, und war der Menſch in dem Umkreis der Natur betrachtet, ein natuͤrliches Weſen, ſo war die Sprache gleichfalls na¬ tuͤrlich. Dieſe beyden Dinge konnte ich wie Seel' und Leib niemals auseinander bringen. Silberſchlag, bey einem cruden Realis¬ mus doch etwas phantaſtiſch geſinnt, hatte ſich fuͤr den goͤttlichen Urſprung entſchieden, das heißt, daß Gott den Schulmeiſter bey den erſten Menſchen geſpielt habe. Herders

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/477>, abgerufen am 22.11.2024.