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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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deutende Stirn, eine etwas stumpfe Nase,
einen etwas aufgeworfenen, aber höchst indi¬
viduell angenehmen, liebenswürdigen Mund.
Unter schwarzen Augenbrauen ein Paar kohl¬
schwarze Augen, die ihre Wirkung nicht ver¬
fehlten, obgleich das eine roth und entzündet
zu seyn pflegte. Durch mannigfaltige Fragen
suchte er sich mit mir und meinem Zustande
bekannt zu machen, und seine Anziehungskraft
wirkte immer stärker auf mich. Ich war
überhaupt sehr zutraulicher Natur, und vor
ihm besonders hatte ich gar kein Geheimniß.
Es währte jedoch nicht lange, als der absto¬
ßende Puls seines Wesens eintrat und mich
in nicht geringes Misbehagen versetzte. Ich
erzählte ihm mancherley von meinen Jugend¬
beschäftigungen und Liebhabereyen, unter an¬
dern von einer Siegelsammlung, die ich haupt¬
sächlich durch des correspondenzreichen Haus¬
freundes Theilnahme zusammengebracht. Ich
hatte sie nach dem Staats-Calender eingerich¬
tet, und war bey dieser Gelegenheit mit

deutende Stirn, eine etwas ſtumpfe Naſe,
einen etwas aufgeworfenen, aber hoͤchſt indi¬
viduell angenehmen, liebenswuͤrdigen Mund.
Unter ſchwarzen Augenbrauen ein Paar kohl¬
ſchwarze Augen, die ihre Wirkung nicht ver¬
fehlten, obgleich das eine roth und entzuͤndet
zu ſeyn pflegte. Durch mannigfaltige Fragen
ſuchte er ſich mit mir und meinem Zuſtande
bekannt zu machen, und ſeine Anziehungskraft
wirkte immer ſtaͤrker auf mich. Ich war
uͤberhaupt ſehr zutraulicher Natur, und vor
ihm beſonders hatte ich gar kein Geheimniß.
Es waͤhrte jedoch nicht lange, als der abſto¬
ßende Puls ſeines Weſens eintrat und mich
in nicht geringes Misbehagen verſetzte. Ich
erzaͤhlte ihm mancherley von meinen Jugend¬
beſchaͤftigungen und Liebhabereyen, unter an¬
dern von einer Siegelſammlung, die ich haupt¬
ſaͤchlich durch des correſpondenzreichen Haus¬
freundes Theilnahme zuſammengebracht. Ich
hatte ſie nach dem Staats-Calender eingerich¬
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[461/0469] deutende Stirn, eine etwas ſtumpfe Naſe, einen etwas aufgeworfenen, aber hoͤchſt indi¬ viduell angenehmen, liebenswuͤrdigen Mund. Unter ſchwarzen Augenbrauen ein Paar kohl¬ ſchwarze Augen, die ihre Wirkung nicht ver¬ fehlten, obgleich das eine roth und entzuͤndet zu ſeyn pflegte. Durch mannigfaltige Fragen ſuchte er ſich mit mir und meinem Zuſtande bekannt zu machen, und ſeine Anziehungskraft wirkte immer ſtaͤrker auf mich. Ich war uͤberhaupt ſehr zutraulicher Natur, und vor ihm beſonders hatte ich gar kein Geheimniß. Es waͤhrte jedoch nicht lange, als der abſto¬ ßende Puls ſeines Weſens eintrat und mich in nicht geringes Misbehagen verſetzte. Ich erzaͤhlte ihm mancherley von meinen Jugend¬ beſchaͤftigungen und Liebhabereyen, unter an¬ dern von einer Siegelſammlung, die ich haupt¬ ſaͤchlich durch des correſpondenzreichen Haus¬ freundes Theilnahme zuſammengebracht. Ich hatte ſie nach dem Staats-Calender eingerich¬ tet, und war bey dieſer Gelegenheit mit

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/469>, abgerufen am 25.11.2024.