Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

den aber die Thür verriegelt. Lucinde ant¬
wortete nicht, wir mochten pochen, rufen,
bitten wie wir wollten. -- Wir müssen sie
gewähren lassen, sagte Emilie, sie will nun
nicht anders! Und wenn ich mir freylich ihr
Wesen von unserer ersten Bekanntschaft an
erinnerte, so hatte sie immer etwas Heftiges
und Ungleiches, und ihre Neigung zu mir
zeigte sie am meisten dadurch, daß sie ihre
Unart nicht an mir bewies. Was wollte ich
thun! Ich zahlte die Alte reichlich für das
Unheil, das sie gestiftet hatte, und wollte
gehen, als Emilie sagte: Ich bedinge mir,
daß die Karte nun auch auf Sie geschlagen
werde. Die Alte war bereit. -- Lassen Sie
mich nicht dabey seyn! rief ich, und eilte die
Treppe hinunter.

Den andern Tag hatte ich nicht Muth
hinzugehen. Den dritten ließ mir Emilie
durch einen Knaben, der mir schon manche
Botschaft von den Schwestern gebracht und

28 *

den aber die Thuͤr verriegelt. Lucinde ant¬
wortete nicht, wir mochten pochen, rufen,
bitten wie wir wollten. — Wir muͤſſen ſie
gewaͤhren laſſen, ſagte Emilie, ſie will nun
nicht anders! Und wenn ich mir freylich ihr
Weſen von unſerer erſten Bekanntſchaft an
erinnerte, ſo hatte ſie immer etwas Heftiges
und Ungleiches, und ihre Neigung zu mir
zeigte ſie am meiſten dadurch, daß ſie ihre
Unart nicht an mir bewies. Was wollte ich
thun! Ich zahlte die Alte reichlich fuͤr das
Unheil, das ſie geſtiftet hatte, und wollte
gehen, als Emilie ſagte: Ich bedinge mir,
daß die Karte nun auch auf Sie geſchlagen
werde. Die Alte war bereit. — Laſſen Sie
mich nicht dabey ſeyn! rief ich, und eilte die
Treppe hinunter.

Den andern Tag hatte ich nicht Muth
hinzugehen. Den dritten ließ mir Emilie
durch einen Knaben, der mir ſchon manche
Botſchaft von den Schweſtern gebracht und

28 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0443" n="435"/>
den aber die Thu&#x0364;r verriegelt. Lucinde ant¬<lb/>
wortete nicht, wir mochten pochen, rufen,<lb/>
bitten wie wir wollten. &#x2014; Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie<lb/>
gewa&#x0364;hren la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;agte Emilie, &#x017F;ie will nun<lb/>
nicht anders! Und wenn ich mir freylich ihr<lb/>
We&#x017F;en von un&#x017F;erer er&#x017F;ten Bekannt&#x017F;chaft an<lb/>
erinnerte, &#x017F;o hatte &#x017F;ie immer etwas Heftiges<lb/>
und Ungleiches, und ihre Neigung zu mir<lb/>
zeigte &#x017F;ie am mei&#x017F;ten dadurch, daß &#x017F;ie ihre<lb/>
Unart nicht an mir bewies. Was wollte ich<lb/>
thun! Ich zahlte die Alte reichlich fu&#x0364;r das<lb/>
Unheil, das &#x017F;ie ge&#x017F;tiftet hatte, und wollte<lb/>
gehen, als Emilie &#x017F;agte: Ich bedinge mir,<lb/>
daß die Karte nun auch auf Sie ge&#x017F;chlagen<lb/>
werde. Die Alte war bereit. &#x2014; La&#x017F;&#x017F;en Sie<lb/>
mich nicht dabey &#x017F;eyn! rief ich, und eilte die<lb/>
Treppe hinunter.</p><lb/>
        <p>Den andern Tag hatte ich nicht Muth<lb/>
hinzugehen. Den dritten ließ mir Emilie<lb/>
durch einen Knaben, der mir &#x017F;chon manche<lb/>
Bot&#x017F;chaft von den Schwe&#x017F;tern gebracht und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">28 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[435/0443] den aber die Thuͤr verriegelt. Lucinde ant¬ wortete nicht, wir mochten pochen, rufen, bitten wie wir wollten. — Wir muͤſſen ſie gewaͤhren laſſen, ſagte Emilie, ſie will nun nicht anders! Und wenn ich mir freylich ihr Weſen von unſerer erſten Bekanntſchaft an erinnerte, ſo hatte ſie immer etwas Heftiges und Ungleiches, und ihre Neigung zu mir zeigte ſie am meiſten dadurch, daß ſie ihre Unart nicht an mir bewies. Was wollte ich thun! Ich zahlte die Alte reichlich fuͤr das Unheil, das ſie geſtiftet hatte, und wollte gehen, als Emilie ſagte: Ich bedinge mir, daß die Karte nun auch auf Sie geſchlagen werde. Die Alte war bereit. — Laſſen Sie mich nicht dabey ſeyn! rief ich, und eilte die Treppe hinunter. Den andern Tag hatte ich nicht Muth hinzugehen. Den dritten ließ mir Emilie durch einen Knaben, der mir ſchon manche Botſchaft von den Schweſtern gebracht und 28 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/443
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/443>, abgerufen am 27.11.2024.