Erinnerung, das ehrwürdige Münstergebäude wieder in die Gedanken, dem ich gerade in jenen Tagen eine besondere Aufmerksamkeit widmete und welches überhaupt in der Stadt sowohl als auf dem Lande sich den Augen beständig darbietet.
Jemehr ich die Facade desselben betrach¬ tete, desto mehr bestärkte und entwickelte sich jener erste Eindruck, daß hier das Erhabene mit dem Gefälligen in Bund getreten sey. Soll das Ungeheuere, wenn es uns als Mas¬ se entgegentritt, nicht erschrecken, soll es nicht verwirren, wenn wir sein Einzelnes zu er¬ forschen suchen: so muß es eine unnatürliche, scheinbar unmögliche Verbindung eingehen, es muß sich das Angenehme zugesellen. Da uns nun aber allein möglich wird den Eindruck des Münsters auszusprechen, wenn wir uns jene beyden unverträglichen Eigenschaften ver¬ einigt denken; so sehen wir schon hieraus, in welchem hohen Werth wir dieses alte Denk¬
Erinnerung, das ehrwuͤrdige Muͤnſtergebaͤude wieder in die Gedanken, dem ich gerade in jenen Tagen eine beſondere Aufmerkſamkeit widmete und welches uͤberhaupt in der Stadt ſowohl als auf dem Lande ſich den Augen beſtaͤndig darbietet.
Jemehr ich die Façade deſſelben betrach¬ tete, deſto mehr beſtaͤrkte und entwickelte ſich jener erſte Eindruck, daß hier das Erhabene mit dem Gefaͤlligen in Bund getreten ſey. Soll das Ungeheuere, wenn es uns als Maſ¬ ſe entgegentritt, nicht erſchrecken, ſoll es nicht verwirren, wenn wir ſein Einzelnes zu er¬ forſchen ſuchen: ſo muß es eine unnatuͤrliche, ſcheinbar unmoͤgliche Verbindung eingehen, es muß ſich das Angenehme zugeſellen. Da uns nun aber allein moͤglich wird den Eindruck des Muͤnſters auszuſprechen, wenn wir uns jene beyden unvertraͤglichen Eigenſchaften ver¬ einigt denken; ſo ſehen wir ſchon hieraus, in welchem hohen Werth wir dieſes alte Denk¬
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[409/0417]
Erinnerung, das ehrwuͤrdige Muͤnſtergebaͤude
wieder in die Gedanken, dem ich gerade in
jenen Tagen eine beſondere Aufmerkſamkeit
widmete und welches uͤberhaupt in der Stadt
ſowohl als auf dem Lande ſich den Augen
beſtaͤndig darbietet.
Jemehr ich die Façade deſſelben betrach¬
tete, deſto mehr beſtaͤrkte und entwickelte ſich
jener erſte Eindruck, daß hier das Erhabene
mit dem Gefaͤlligen in Bund getreten ſey.
Soll das Ungeheuere, wenn es uns als Maſ¬
ſe entgegentritt, nicht erſchrecken, ſoll es nicht
verwirren, wenn wir ſein Einzelnes zu er¬
forſchen ſuchen: ſo muß es eine unnatuͤrliche,
ſcheinbar unmoͤgliche Verbindung eingehen, es
muß ſich das Angenehme zugeſellen. Da uns
nun aber allein moͤglich wird den Eindruck
des Muͤnſters auszuſprechen, wenn wir uns
jene beyden unvertraͤglichen Eigenſchaften ver¬
einigt denken; ſo ſehen wir ſchon hieraus, in
welchem hohen Werth wir dieſes alte Denk¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/417>, abgerufen am 26.11.2024.
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