Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Er kehrte sich heftig herum, und ich fürchtete
einen Auftritt. -- Hängen lassen! rief er,
mich hängen lassen! Nein das wäre nicht
gegangen, dazu war ich ein zu braver Kerl;
aber mich hängen, mich selbst aufhängen, das
ist wahr, das hätte ich thun sollen; einen
Schuß Pulver sollt' ich an mich wenden, um
nicht zu erleben, daß ich keinen mehr werth
bin. Die Frau stand wie versteinert, er
aber fuhr fort: Du hast eine große Wahr¬
heit gesagt, Hexenmutter! und weil man dich
noch nicht ersäuft oder verbrannt hat, so sollst
du für dein Sprüchlein belohnt werden. Er
reichte ihr ein Büsel, das man nicht leicht
an einen Bettler zu wenden pflegte.

Wir waren über die erste Rheinbrücke ge¬
kommen und gingen nach dem Wirthshause,
wo wir einzukehren gedachten, und ich suchte
ihn auf das vorige Gespräch zurückzuführen,
als unerwartet auf dem angenehmen Fußpfad
ein sehr hübsches Mädchen uns entgegen kam,

II. 26

Er kehrte ſich heftig herum, und ich fuͤrchtete
einen Auftritt. — Haͤngen laſſen! rief er,
mich haͤngen laſſen! Nein das waͤre nicht
gegangen, dazu war ich ein zu braver Kerl;
aber mich haͤngen, mich ſelbſt aufhaͤngen, das
iſt wahr, das haͤtte ich thun ſollen; einen
Schuß Pulver ſollt' ich an mich wenden, um
nicht zu erleben, daß ich keinen mehr werth
bin. Die Frau ſtand wie verſteinert, er
aber fuhr fort: Du haſt eine große Wahr¬
heit geſagt, Hexenmutter! und weil man dich
noch nicht erſaͤuft oder verbrannt hat, ſo ſollſt
du fuͤr dein Spruͤchlein belohnt werden. Er
reichte ihr ein Buͤſel, das man nicht leicht
an einen Bettler zu wenden pflegte.

Wir waren uͤber die erſte Rheinbruͤcke ge¬
kommen und gingen nach dem Wirthshauſe,
wo wir einzukehren gedachten, und ich ſuchte
ihn auf das vorige Geſpraͤch zuruͤckzufuͤhren,
als unerwartet auf dem angenehmen Fußpfad
ein ſehr huͤbſches Maͤdchen uns entgegen kam,

II. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0409" n="401"/>
Er kehrte &#x017F;ich heftig herum, und ich fu&#x0364;rchtete<lb/>
einen Auftritt. &#x2014; Ha&#x0364;ngen la&#x017F;&#x017F;en! rief er,<lb/>
mich ha&#x0364;ngen la&#x017F;&#x017F;en! Nein das wa&#x0364;re nicht<lb/>
gegangen, dazu war ich ein zu braver Kerl;<lb/>
aber mich ha&#x0364;ngen, mich &#x017F;elb&#x017F;t aufha&#x0364;ngen, das<lb/>
i&#x017F;t wahr, das ha&#x0364;tte ich thun &#x017F;ollen; einen<lb/>
Schuß Pulver &#x017F;ollt' ich an mich wenden, um<lb/>
nicht zu erleben, daß ich keinen mehr werth<lb/>
bin. Die Frau &#x017F;tand wie ver&#x017F;teinert, er<lb/>
aber fuhr fort: Du ha&#x017F;t eine große Wahr¬<lb/>
heit ge&#x017F;agt, Hexenmutter! und weil man dich<lb/>
noch nicht er&#x017F;a&#x0364;uft oder verbrannt hat, &#x017F;o &#x017F;oll&#x017F;t<lb/>
du fu&#x0364;r dein Spru&#x0364;chlein belohnt werden. Er<lb/>
reichte ihr ein Bu&#x0364;&#x017F;el, das man nicht leicht<lb/>
an einen Bettler zu wenden pflegte.</p><lb/>
        <p>Wir waren u&#x0364;ber die er&#x017F;te Rheinbru&#x0364;cke ge¬<lb/>
kommen und gingen nach dem Wirthshau&#x017F;e,<lb/>
wo wir einzukehren gedachten, und ich &#x017F;uchte<lb/>
ihn auf das vorige Ge&#x017F;pra&#x0364;ch zuru&#x0364;ckzufu&#x0364;hren,<lb/>
als unerwartet auf dem angenehmen Fußpfad<lb/>
ein &#x017F;ehr hu&#x0364;b&#x017F;ches Ma&#x0364;dchen uns entgegen kam,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">II. 26<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[401/0409] Er kehrte ſich heftig herum, und ich fuͤrchtete einen Auftritt. — Haͤngen laſſen! rief er, mich haͤngen laſſen! Nein das waͤre nicht gegangen, dazu war ich ein zu braver Kerl; aber mich haͤngen, mich ſelbſt aufhaͤngen, das iſt wahr, das haͤtte ich thun ſollen; einen Schuß Pulver ſollt' ich an mich wenden, um nicht zu erleben, daß ich keinen mehr werth bin. Die Frau ſtand wie verſteinert, er aber fuhr fort: Du haſt eine große Wahr¬ heit geſagt, Hexenmutter! und weil man dich noch nicht erſaͤuft oder verbrannt hat, ſo ſollſt du fuͤr dein Spruͤchlein belohnt werden. Er reichte ihr ein Buͤſel, das man nicht leicht an einen Bettler zu wenden pflegte. Wir waren uͤber die erſte Rheinbruͤcke ge¬ kommen und gingen nach dem Wirthshauſe, wo wir einzukehren gedachten, und ich ſuchte ihn auf das vorige Geſpraͤch zuruͤckzufuͤhren, als unerwartet auf dem angenehmen Fußpfad ein ſehr huͤbſches Maͤdchen uns entgegen kam, II. 26

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/409
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/409>, abgerufen am 26.11.2024.